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Ketamin als Antidepressivum

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Ketamin
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Freiname Ketamin, Esketamin
Wirkung hoch (bei >40 % mit MD)[1]
Wirksamkeit belegt[2]
Indikation Therapie (komorbider) Major Depression

Ketamin ist ein Arzneistoff, der in der Regel in der Human- und Tiermedizin zur Anästhesie und Analgesie (zum Beispiel in der Notfallmedizin oder bei Operationen) eingesetzt wird. Darüber hinaus wird Ketamin auch als Rauschmittel (dort bekannt als Special K, Kate oder Vitamin K bekannt)[3] verwendet.

Neuere Studien, unter anderem von der Charité Berlin[4][5], zeigen auf, dass niedrig dosiertes Ketamin bei intravenöser Gabe mitunter beachtenswerte, auch längerfristige[6] antidepressive Wirkungen bei therapieresistenten Depressionen, insbesondere Major Depression[7], haben kann. Auch bei Posttraumatischer Belastungsstörung zeigten sich signifikante antidepressive Wirkungen.[8] Bei mehr als 40 % auch schwer depressiver Patienten zeigt Ketamin antidepressive Wirkungen.

Depressionen kommen als besonders häufige Sekundärstörungen bei bis zu 40 % der ADHS-Betroffenen vor und haben signifikante negative Auswirkungen auch auf die ADHS-Symptomatik, weshalb in der multimodalen ADHS-Behandlung oftmals die Therapie der Depression im Vordergrund steht. Ketamin kann vor allem bei akuter Suizidalität eine schnelle und wirksame Alternativbehandlung zu den bislang erhältlichen Medikamenten darstellen.[9][10]

Wirkmechanismus

Für Ketamin als Wirkort bekannt ist der Glutamat-NMDA-Rezeptorkomplex. Als wichtiger Neurotransmitter des Zentralnervensystems bewirkt die Glutaminsäure einen Calciumeinstrom, der für zahlreiche intrazelluläre Prozesse verantwortlich ist. Indem Ketamin die NMDA-Rezeptor-abhängige Acetylcholin-Freisetzung verhindert, beeinflusst es das cholinergene System, hemmt darüber hinaus auch andere Glutamatrezeptoren, wirkt schwach agonistisch an Opioidrezeptoren und moduliert und aktiviert es bestimmte Rezeptoren am GABAA-Rezeptor.[11]

Außerdem wirkt Ketamin als peripherer Reuptake-Inhibitor von Noradrenalin und Dopamin an der synaptischen Endplatte, einhergehend mit Verstärkungen endogener und exogener Katecholamineffekte.

Verwendung von Ketamin bei Depressionen

Ketamin konnte in einigen Untersuchungen deutliche und schnell eintretende antidepressive Wirkungen nachgewiesen werden. Da konventionellen, antidepressiv wirkenden Arzneimitteln bis zum ersten Wirkungseintritt einige Wochen vergehen, könnte Ketamin in Zukunft insbesondere bei der Behandlung akut suizidgefährdeter Patienten eine wichtige Rolle zukommen.

Aufgrund der hohen Zahl an Patienten, die nicht oder nicht ausreichend auf die üblicherweise verschriebenen antidepressiven Wirkstoffgruppen reagieren (Non-Responder)[12], könnte Ketamin zudem eine wichtige Rolle auch bei der flankierenden Behandlung der therapieresistenen Major Depression zukommen.

Erste Ergebnisse zur Wirksamkeit bei Depressionen

In Untersuchungen mit infundiertem Ketamin zeigte sich Ketamin als stark und schnell wirksam gegen depressive Symptome. Mitunter konnten die Symptome bereits nach 40 Minuten um bis zu 50 % reduziert werden.

Die antidepressive Wirkung des Ketamis wird erst seit wenigen Jahren untersucht. Erste Untersuchungen haben jedoch überraschende Ergebnisse hinsichtlich der antidepressiven Wirkung von unterschiedlich appliziertem Ketamin bei Patienten auch mit therapierefraktären, hartnäcigen Depressionen sowie mit bipolarer Störung hervorbringen können.

So berichtet eine Studie aus dem Jahr 2013 nach sublingualer Gabe niedriger Ketamindosen (wöchentliche Gabe von 10 mg) von deutlichen, beständigen Stimmungsaufhellungen und verbessertem Schlaf bei 77 % der Teilnehmer.[13]

Eine Studie des Jahres 2014 mit 21 Patienten mit bipolarer Störung konnte auch im Rahmen bildgebender Verfahren Effekte durch Ketamin in Gehirnregionen nachweisen, welche besondere Bedeutung bei Depressionen haben. Die Symptombesserungen waren signifikant mit Änderungen im rechten ventralen Striatum korreliert.[14]

Carlos Zarate (NIMH) untersuchte im Jahr 2006 die Wirkung von intravenös appliziertem Ketamin bei 18 schwer depressiven Patienten, wobei 71 % der Patienten bereits innerhalb von 40 Minuten bis wenigen Stunden positiv reagierten. Am ersten Tag waren die depressiven Symptome bereits um 50 % reduziert.[15] Nach der zweiten Gabe am nächsten Tag konnten bei rund 30 % der Patiente keine depressiven Symptome mehr nachgewiesen werden, bei einem weiteren Drittel kehrten die Symptome nach einer Woche zurück.

Zahlreiche weitere, vorwiegend US-amerikanische Studien konnten ebenfalls bedeutende positive Wirkungen bei der Ketamin-Behandlung von Depressionen aufzeigen.[16][17][18][19]

Antidepressive Wirkmechanismen

Als wahrscheinlich gilt, dass bei Patienten mit Depressionen das AMPA-Rezeptor-vermittelte glutamaterge System geschwächt ist. Dieses ist relevant für die synaptische Plastizität in zahlreichen Arealen des Gehirns, darunter insbesondere des Hippocampus und des Kleinhirns. Das AMPA-System scheint schneller und direkter die Ausschüttung des Wachstumsfaktors BDNF (Brain-derived neurotrophic factor) zu stimulieren, als bei einer Kaskade über SSRi und trizyklischen Antidepressiva. Zudem ist BDNF ein Marker für den Therapieerfolg: Die Patienten sprechen besser auf die Therapie an, je stärker die BDNF-Spiegel steigen.

Bei depressiven Patienten scheinen Stressoren das AMPA-System zu unterdrücken; Ketamin jedoch löst durch die bewirkte Blockade des NMDA-Rezeptors die AMPA-Blockade.[20]

Nebenwirkungen

Als sehr häufige Nebenwirkungen werden psychotrope Effekte (Pseudohalluzinationen, unangenehme Träume), Übelkeit und Erbrechen, erhöhter Speichelfluss (Hypersalivation), Sehstörungen, Schwindel und motorische Unruhe beschrieben. Daneben wirkt Ketamin als einziges Narkotikum blutdruck- und herzfrequenzsteigernd. Im Rahmen der Notfallmedizin ist es das einzige Medikament, mit dessen Einsatz kreislaufstabilisierende und narkotische Effekte kombiniert werden können. Der Einsatz bei Patienten mit schwerer koronarer Herzerkrankung (zum Beispiel Herzinfarkt) ist zu vermeiden, weil das Medikament durch Herzfrequenz- und Blutdruckanhebung die Herzarbeit steigert und somit den Sauerstoffverbrauch des Herzmuskels erhöht.

Ketamin kann bei längerfristigem Missbrauch als Rauschmittel die ableitenden Harnwege schädigen. Es kann zu urologischen Beschwerden (LUTS) und zu einer Blasenentzündung mit Bildung von Geschwüren (ulzerative Zystitis) kommen.[21][22]

Im Rahmn der niedrig dosierten intravenösen Anwendung als Antidepressivum gilt Ketamin als allgemein gut verträglich.

Wechselwirkungen

Bei der parallelen Gabe von Ketamin und Methylphenidat ist Vorsicht geboten, da es bei gleichzeitiger Gabe beider Substanzen zu unvorhersehbaren und gegebenenfalls gefährlichen Wechselwirkungen kommen kann.[23][24]

Rechtslage

In Deutschland, der Schweiz und in Österreich ist Ketamin verschreibungspflichtig, unterliegt jedoch nicht dem Betäubungsmittelgesetz bzw. dem österreichischen Suchtmittelgesetz.

Siehe auch

Film & Fernsehen

Studien

Literatur

  • Wolfson, Phil.: The Ketamin Papers. ISBN: 0998276502.

Weblinks

Deutsch

Weitere interessante Artikel

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Einzelnachweise

  1. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00088699
  2. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00088699
  3. http://www.beatrice-wagner.de/uploads/media/Artikel_m22.pdf
  4. http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article125641894/Ketamin-ist-die-neue-Hoffnung-fuer-Depressive.html
  5. Scheidegger M, Walter M, Lehmann M, Metzger C, Grimm S, Boeker H, Boesiger P, Henning A, Seifritz E. Ketamine decreases resting state functional network connectivity in healthy subjects: implications for antidepressant drug action. PLoS One. 2012;7(9):e44799. doi: 10.1371/journal.pone.0044799. Epub 2012 Sep 24.
  6. C. M. Coyle, K. R. Laws: The use of ketamine as an antidepressant: a systematic review and meta-analysis. In: Human psychopharmacology. Band 30, Nummer 3, Mai 2015, S. 152–163
  7. http://jop.sagepub.com/content/27/5/444.abstract
  8. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24740528
  9. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02593643?term=ketamine+depression&rank=2
  10. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01887990?term=ketamine+depression&no_unk=Y&rank=49
  11. Hevers W, Hadley SH, Lüddens H, Amin J: Ketamine, but not phencyclidine, selectively modulates cerebellar GABA(A) receptors containing alpha6 and delta subunits. In: J. Neurosci.. 28, Nr. 20, 2008, S. 5383–5393
  12. http://www.webmd.com/depression/news/20140923/ketamine-depression
  13. https://dx.doi.org/10.1017%2FS1461145713000485
  14. A. C. Nugent, N. Diazgranados, P. J. Carlson, L. Ibrahim, D. A. Luckenbaugh, N. Brutsche, P. Herscovitch, W. C. Drevets, C. A. Zarate: Neural correlates of rapid antidepressant response to ketamine in bipolar disorder. In: Bipolar disorders. Band 16, Nummer 2, März 2014, S. 119–128
  15. https://bbrfoundation.org/brain-matters-discoveries/2006-breakthrough-rapid-acting-antidepressant-heralded-as-biggest
  16. https://clinicaltrials.gov/show/NCT01998958
  17. https://clinicaltrials.gov/show/NCT01680172
  18. https://clinicaltrials.gov/show/NCT01627782
  19. https://clinicaltrials.gov/show/NCT00088699
  20. vgl. http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/depressionen/article/858662/depression-neue-ansaetze-therapie.html
  21. S. Middela, I. Pearce: Ketamine-induced vesicopathy: a literature review. In: International journal of clinical practice Band 65, Nummer 1, Januar 2011, S. 27–30
  22. R. Hoffman u. a.:Ketamine poisoning. UpToDate 19.1, Januar 2011.
  23. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9041578
  24. https://goo.gl/hHe2ef
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