Mehr Sicherheit für ADHS-Patienten
Medikamenten-Ausweis nach § 4 Abs. 3 BtMG
Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene mit ADHS können Neigungen zu ungeplantem und – seltener – auch pathologischem Lügen entwickeln. Das Lügen dient meist dazu, die ohnehin häufig auftretenden Konfliktsituationen, Bestrafungen und Verärgerungen anderer zu vermeiden oder sozial weniger aufzufallen. Darüber hinaus können sogenannte Konfabulationen beobachtet werden. Diese bezeichnen das spontane, nicht unbedingt bewusste Ersetzen von nicht direkt abrufbaren Begebenheiten in eine Aussage durch eine passende (aber unwahre) Erklärung – zum Beispiel mit dem Ziel, den eigenen Redefluss nicht zu unterbrechen oder (scheinbare) Widersprüchlichkeiten zu vermeiden. Systematische Untersuchungen, die sich dem Zusammenhang zwischen ADHS und Lügen im Speziellen widmen, wurden bislang nicht unternommen.[1]
Als Konfabulieren bezeichnet man das Einbringen oder Modifizieren von Begebenheiten in einer Aussage, um vergessene oder im Augenblick nicht abrufbare, subjektiv als unwichtig empfundene Informationen und Erinnerungslücken auszugleichen.[2] Das Einbringen oder Modifizieren der meist nebensächlichen und weniger relevanten Unwahrheiten kann zum Beispiel dazu dienen, den Redefluss nicht durch Nachdenken zu unterbrechen. Es handelt sich nicht um pathologisches Lügen (Pseudologie) oder um ein Lügen mit vordergründig manipulativen Interessen, wie etwa bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung oder der (selten komorbid auftretenden) hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens. Vielmehr handelt es sich um Versuche, in sozialen Situationen nicht negativ aufzufallen:
„Ein reduziertes Selbstwertgefühl bei Menschen mit einer ADHS kommt aber auch zustande, da die betroffenen Personen die kognitiven Defizite kompensieren müssen, um im sozialen Kontext nicht noch mehr aufzufallen: Immer wieder müssen sie zu Notlügen greifen oder sie konfabulieren, um nicht aufzufallen. So berichtete eine ADHS-Patientin, dass sie sich jeweils den ersten wichtigen Begriff eines Dialogs besonders gut merkte, um nicht in eine peinliche Situation zu geraten, falls sie in zu langen Gesprächspassagen des Gegenübers den Faden verlor. So konnte sie den Anschein aufrechterhalten, dass sie dem Gespräch problemlos Folgen konnte.“[2]
— Piero Rossi, 2001
Verstrickte Täuschungsversuche können aufgrund der mangelhaften verbalen Kontrolle ADHS-Betroffener von anderen meist schnell durchschaut werden. Sporadische, nebensächliche Konfabulationen fügen sich hingegen oft lückenlos und unauffällig in tatsächlich Erlebtes ein und wirken zunächst glaubwürdig. Sie sind vom Therapeuten oft nicht direkt als solche zu identifizieren. Entdeckt der Therapeut eine Neigung zur maladaptiven Konfabulation, sollte diese nach Möglichkeit behutsam (auf Augenhöhe) oder indirekt („durch die Störung hindurch“) adressiert werden, um diese letztlich gemeinsam mit dem Klienten als maladaptives Verhalten identifizieren und bearbeiten zu können. Im Fokus steht dabei die Entwicklung adäquater Coping-Strategien, welche das Konfabulieren ersetzen sollen.
Ein Merkmal der ADHS ist eine unzureichende Fähigkeit zur verbalen Selbststeuerung, die in den schwach ausgeprägten exekutiven Funktionen und mangelhaften Coping-Kompetenzen verwurzelt ist. Die damit verbundenen Ohnmachtsgefühle haben gegebenenfalls extreme Verhaltenstendenzen zur Folge. Beispielsweise entscheiden sich Betroffene für das Anwenden starrer Verhaltensregeln, wie:
Beide Varianten sind mit negativen, durchaus langfristig wirkenden sozialen Konsequenzen und Stigmatisierungseffekten verbunden, unter denen die Betroffenen leiden. → Siehe auch: ADHS-Teufelskreis.
Die in diesem Artikel erläuterten Phänomene treten auch in Zusammenhang mit anderen Schwierigkeiten, psychiatrischen Erkrankungen oder ADHS-Komorbiditäten auf und sind nicht spezifisch, typisch oder kennzeichnend für ADHS.