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Internate für Kinder und Jugendliche mit ADHS

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Schloss des Internatsgymnasiums Louisenlund in Güby (Schleswig-Holstein).

Für die Beschulung von einigen Kindern und Jugendlichen mit ADHS können bestimmte Internatsschulen geeigneter sein, als der Besuch einer öffentlichen Schule. Die Eignung hängt jedoch mit einer Reihe auch individueller Faktoren zusammen, welche in diesem Artikel diskutiert werden.

Empirische Daten zu den pädagogischen Effekten der Internatsbetreuung und Beschulung sind bislang kaum vorhanden.[1] Hinsichtlich ADHS liegen keine Forschungsdaten über die Wirksamkeit einer Internatsbeschulung vor.

Eignung von Internatsschulen bei ADHS

Eine Unterbringung und Beschulung in einer Internatsschule verspricht für Kinder mit ADHS nicht in jedem Fall bessere Bildungsperspektiven und soziale Entwicklungsumstände. Die Entscheidung über einen Wechsel sollte vor dem Hintergrund der Eignung des Kindes, der familiären Situation und der in Frage kommenden Einrichtungen sorgfältig geplant werden.

Darüber hinaus spielt auch die individuelle Eignung der Einrichtung eine Rolle. Diese sollte weitgehend passend zum Wesen des Kindes sowie dem Erziehungsstil der Eltern sein.[2] Während in Deutschland nur einige Internate tatsächlich ein Rahmenkonzept anbieten dürften, das spezifisch für Kinder und Jugendliche mit einer ADHS-Problematik geeignet ist, bestehen zahlreiche Einrichtungen, die spezifisch für diese Problematik werben.

Eignung des Internats bei ADHS

Wenngleich zahlreiche Internatsschulen mit konzeptionellen Spezialisierungen auf ADHS und Teilleistungsstörungen werben, existieren bislang jedoch keine verbindlichen Kriterien oder Empfehlungen für Beschulungs- und Betreuungskonzepte hinsichtlich der ADHS im Kindes- und Jugendalter. In der Regel werden von den Einrichtungen eigene, individuelle pädagogische und didaktische Konzepte angewandt, für deren Umsetzung die öffentlichen Schulen nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen. Dazu können kleinere Klassenstärken, speziell geschultes pädagogisches Personal und spezielle Rahmenbedingungen zählen. Als Beispiel ermöglichte ein Baden-Württemberger Internat bis 2012 aufgrund seines Status als private Ergänzungsschule das unbedingte Nachrücken in die nächsthöhere Klassenstufe.[3] Klar definierte Leitlinien, die eine Spezifität für die ADHS-Symptomatik erkennen lassen, sind jedoch überwiegend nicht ersichtlich.

Formale Kriterien, welche eine für ADHS geeignete Internatsschule auszeichnen, können beispielsweise sein:

  • Kleine Klassenstärken (<20 Schüler pro Klasse)
  • Speziell geschulte Pädagogen mit störungsspezifischen Kenntnissen
  • Profunde Kenntnisse des Personals auch hinsichtlich komorbider Störungen und Teilleistungsstörungen
  • Möglichkeiten der bedarfsweisen Einzelbetreuung
  • Hochstrukturierte Tagespläne mit Möglichkeiten der Entfaltung
  • Regelmäßige Hausaufgaben- und Lernzeiten (sog. Silentium) mit sinnvoller Organisation und jeweils sachkundiger Betreuung
  • Vielfältige Möglichkeiten der Freizeitgestaltung sowie sportlicher Betätigung
  • Möglichkeit des Beginns oder der Fortführung therapeutischer Maßnahmen
  • Anstreben einer engen Zusammenarbeit mit Eltern und Therapeuten
  • Vorhandenes und sorgfältiges Präventionsmanagement hinsichtlich Drogenabusus (für weitere Info: siehe unten)
  • Geringe Fluktuation innerhalb der Primar- und Sekundarstufen.

Während oben genannte Kriterien von einem großen Teil deutscher Internatsschulen per se erfüllt werden dürften, kann sich die Qualität der pädagogischen, didaktischen und infrastrukturellen Umsetzung jedoch erheblich unterscheiden. Eine Erfüllung solcher formalen Leistungskriterien hat daher nur eine geringe Aussagekraft über die tatsächliche Qualifikation bzw. die Qualität der Internatsschule.

Eignung und Alter des Kindes bei Internatsunterbringung

Schüler einer britischen Internatsschule. Die Internatswahl sollte sorgfältig geplant werden. Sind pädagogischer Stil, Regelwerke und Umgebung nicht passend für das Kind, ist der Internatsbesuch zumeist wenig erfolgversprechend.

Eignung des Kindes

Ein Internatsbesuch bedeutet für das Kind eine großteilige Herauslösung aus dem familiären Alltag, der schützenden Strukturen der Familie und der gewohnten Alltagsumgebung. Die Entscheidung eines Wechsels auf eine Internatsschule wird häufiger

1. im Zuge der Situation einer krisenhaften Zuspitzung, etwa bei Schulverweigerung des Kindes, deutlich abnehmenden Leistungen, oder nicht mehr beschulungsfähigem Verhalten des Kindes getroffen.
2. Der Wechsel findet in diesem Zusammenhang häufiger unterjährig (spontan) statt, um der weiteren Zuspitzung entgegenzuwirken (siehe auch: ADHS-Teufelskreis).
3. Nur selten findet der Wechsel auf den Wunsch des Kindes hin statt.

Gerade bei einem unterjährigen Wechsel bleibt für das Kind wenig Gelegenheit, sich emotional auf die neue Situation einzustellen, da der Wechsel rasch erfolgen soll. Halt gebende Strukturen, die bislang neben der Familie existiert haben (Freunde, Peers, die gewohnte Umgebung, Alltagsroutinen), sind für das Kind nicht mehr wie gewohnt verfügbar.

Die pädagogischen Konzepte einiger Einrichtungen sehen die Heimfahrt an den Wochenenden nicht, oder nicht regelmäßig vor. Während dieses Verfahren in Fällen besonders belasteter familiärer Situationen sinnvoll, oder bei nicht vorhandenen familiären Ressourcen sogar förderlich sein kann, stellt die dauerhafte Trennung von der Familie eine zu vermeidende emotionale Belastung dar.

Wenig erfolgversprechend ist eine Internatsunterbringung, wenn schwere Verhaltensstörungen vorliegen, die regelmäßig über die kritischen Settings (zum Beispiel nur in der Familie, nur in der Schule) hinaus und unabhängig von Situation, Bezugsperson und Kontaktdauer auftreten. Da Internate zumeist keine angemessene therapeutische Unterstützung anbieten können und eine Beschulbarkeit bei somit fortbestehendem Problemverhalten nicht möglich sein wird, ist eine stationäre Therapie zunächst vorzuziehen. Diese kann im Einzelfall einen anschließenden, auch nahtlosen Übergang auf die Internatsschule erst ermöglichen.

Alter des Kindes

Für Kinder zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr stellt der Wechsel auf eine Internatsschule eine höhere emotionale Belastung dar, als für Kinder und Jugendliche, die das Pubertätsalter bereits erreicht haben. Kindern und Jugendlichen mit ADHS sollte darüber hinaus ein größerer Vorlauf für die emotionale Vorbereitungsphase eingeräumt werden. Ein Wechsel auf ein Internat findet daher insbesondere bei jüngeren Kindern optimaler Weise mit vorheriger Planung zum regulären Beginn des neuen Schuljahres statt.

Zeitpunkt der Unterbringung

Mit der Internatsunterbringung geht zumeit auch ein Schulwechsel einher. Der Schulwechsel kann in der Regel nur wegen eines Wohnsitzwechsels unterjährig (während des laufenden Schuljahres) vollzogen werden. Ein unterjähriger Schulwechsel, der ohne Wechsel des Wohnorts vollzogen werden soll, ist jedoch in außergewöhnlichen Fällen möglich. Dazu bedarf unter anderem es eines Antrags der Erziehungsberechtigten[4] sowie eines Gutachtens der gegenwärtig besuchten Schule und der Zustimmung jeweils der Schulleitungen beider Schulen. In den Bunesländern der Bundesrepublik Deutschland können unterschiedliche Regelungen zum Tragen kommen, die jeweils bei den Schulen einzuholen sind.

Mögliche Vor- und Nachteile einer Internatsunterbringung

Mögliche Vorteile

  • Je nach Konzept bestehen besondere pädagogische Fördermöglichkeiten, etwa bei Teilleistungs- oder Aufmerksamkeitsstörungen
  • Gegebenenfalls kleinere Schulklassengrößen ermöglichen intensivere Betreuung
  • Systematische Wiedereingliederung in den schulischen Alltag nach längeren Versäumnissen, unterstützt durch dafür ausgebildete Fachkräfte
  • Gegebenenfalls vielfältige Freizeitangebote
  • Hohe Tagesstruktur mit regelmäßigen, betreuten Hausaufgabenzeiten (sog. Silentium)
  • Entlastung der Eltern und der familiären Gesamtsituation
  • Höhere soziale Intensität in der Internatsgemeinschaft mit Möglichkeiten des besseren Erlernens eines angemessenen Sozialverhaltens
  • Das Kind wird in die homogenere Peergroup mit ähnlichen Problemen gegebenenfalls besser integriert.

Mögliche Nachteile

  • Eventuell problematischer Wechsel, insbesondere unterjährig sowie bei Schulwechsel in ein anderes Bundesland
  • Gegebenenfalls Wegfall zuvor stabilisierender Faktoren des gewohnten Umfelds
  • Emotionale Belastung für die Familie und das Kind, insbesondere in der Zeit nach dem Wechsel
  • Gegebenenfalls Nachlassen der emotionalen Bindung zwischen Kind und Familie
  • Potentielles Risiko eines Drogenabusus an manchen Internatsschulen (siehe unten)
  • Möglicherweise fehlende pädagogiche und didaktische Spezialisierung und daher geringe Eignung für Kinder und Jugendliche mit ADHS-Symptomatik.

Problem des Substanzabusus an Internaten

Als problematisch an Internatsschulen gelten häufigere Fälle von Drogenmissbrauch unter den Schülern. Insbesondere an Einrichtungen mit spezialisierten Rahmenkonzepten kann das Risiko eines entsprechenden Umfelds unter den Schülern erhöht sein,[5] da das Konsummuster oder Suchtproblem, welches bei dieser Gruppe häufiger vorkommt,[6] meist nicht allein durch den Schulwechsel verschwindet, sondern migriert und fortbesteht. Die meisten Einrichtungen lassen vor diesem Hintergrund regelmäßig in Stichproben Atemalkohol- sowie Haar- oder Urintests durchführen. Diese sind in der Regel obligatorische Klauseln der vertraglich verpflichtenden Internatsordnungen.[7] Einige Einrichtungen verfahren zudem nach einem „Null-Toleranz-Prinzip“, wobei bereits ein einmaliges positives Testergebnis, das auf den Konsum einer illegalen Droge hinweist, zu einer Beendigung des Schul- und Betreuungsvertrags und dem Ausschluss aus dem Internatsbetrieb führt.[8]

Medikamenteneinnahme

Um einem Missbrauch etwaiger verschriebener, missbrauchsfähiger Medikamente vorzubeugen und eine regelmäßige Einnahme zu gewährleisten, werden die einzunehmenden Medikamente meist nicht den Schülern überlassen, sondern werden zu den ärztlich vorgeschriebenen Zeiten an die Schüler ausgegeben. Auch die Einnahme erfolgt somit unter Aufsicht.

Kosten

Die Kosten der Einrichtungen schwanken mitunter erheblich. Diese sind nicht zuletzt von der Art der Unterbringung, der Betreuungsmöglichkeiten, der Angebote und der Trägerschaften abhängig. Damit ist zu begründen, dass sich die monatlichen Vollkosten zwischen 300,00 Euro und deutlich über 4000,00 Euro bewegen können.

Kostenübernahme

Die Beschulung auch in privaten Internatsschulen kann eine Leistung der Eingliederungshilfe sein. Diese richtet sich nach § 35a SGB VIII[9], wobei zwei Voraussetzungen gelten:

  • Die seelische Gesundheit des Kindes muss mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweichen, und
  • daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten sein.[10]

Siehe auch

Literatur

  • Manfred Klemann u. Silke Mäder: Der große Internate-Führer. Das Internate-Handbuch für Eltern und Schüler. Unterwegs, Singen 2006. ISBN 3-86112-149-2.
  • Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen (Hrsg.): Handbuch Freie Schulen. Reinbek, Rowohlt 1993. ISBN 3-499-16347-0.
  • Jonathan Gathorne-Hardy: The Public School Phenomenon 597 — 1977. Hodder and Stoughton, London 1977. ISBN 0-14-004949-5.
  • Gernot Gonschorek: Erziehung und Sozialisation im Internat. Minerva, München 1979, ISBN 3-597-10163-1.
  • Herbert Kalthoff: Wohlerzogenheit. Eine Ethnographie deutscher Internatsschulen. Campus, Frankfurt 1997. ISBN 3-593-35716-X.

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Einzelnachweise