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Coping bei ADHS

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Als Coping-Strategien, Coping (englisch to cope with, „überwinden“, „zurechtkommen“), Coping-Skills, Adaptionen (lat. adaptare, anpassen, verändern), oder Bewältigungsstrategien werden Umgangs- und Verhaltensanpassungen (Adaptionen) bezeichnet, die ein Mensch vornimmt, um bestimmte belastende Lebensphasen, -Umstände und Situationen zu bewältigen. Dies können beispielsweise Phasen von Trauer, Stress, Krankheit oder Angst sein, aber auch belastende Dauerzustände. Coping-Strategien dienen also dem Resilienzerwerb und werden von allen Menschen im Laufe des Lebens ganz natürlich bewusst und unbewusst entwickelt und angewandt. Im weitesten Sinne sind solche kompensatorischen Bewältigungshandlungen auch bereits bei Säuglingen zu beobachten.[1][2]

Coping-Strategien bilden also einen elementaren Rahmen für salutogenetische[3] Voraussetzungen:

Gesund ist nicht derjenige, der keine Probleme hat, sondern derjenige, der mit den unerwarteten Überraschungen des Lebens flexibel umgehen kann.[4]

— Nawid Peseschkian

Menschen mit schwer ausgeprägter und unbehandelter (dekompensierter) ADHS-Symptomatik entwickeln in der Regel schon früh eine Reihe verschiedener Kompensationsmuster, welche die störungsbedingt mangelhaften Ressourcen ausgleichen sollen. Gerade jedoch bei Erkrankungen wie einer stark ausgeprägten ADHS, welche für den Betroffenen subjektiv kaum bewältigbar scheinen, werden häufig Bewältigungsstrategien entwickelt, welche schon nicht mehr der Verbesserung oder Lösung Grundproblems dienen (zum Beispiel Geduld üben, Impulse kontrollieren, selektive Aufmerksamkeit verbessern), sondern vielmehr der Vermeidung negativer emotionaler Zustände (Scham, Wut, Minderung des Selbstwertgefühls, Enttäuschung).[5] Solche Maladaptationen (von lat. male = schlecht und lat. adaptare, anpassen, verändern; Fehlanpassung, Fehlangepasstheit) können zusätzlich pathogen wirken und auch zu einer Entwicklung und Ausweitung von Komorbiditäten beitragen. Beispielsweise kann sich aus einer sozialen Angst durch fortwährende Vermeidung sozialer Konfrontation eine pathologische soziale Phobie entwickeln.

Dysfunktionale Verhaltensanpassungen sind in vielen Fällen ein bedeutender Bestandteil der ADHS-Gesamtproblematik. Ein wichtiges Feld der ADHS-Behandlung oder des -Coachings ist deshalb nicht nur das Erlernen konstruktiver Coping-Strategien, sondern auch die Umwandlung dysfunktionaler Adaptionen in sinnvolle Kompensationsmuster, die sich für den Betroffenen und sein Umfeld nicht schädlich auswirken und langfristig zu einer Verbesserung der Gesamtkonstitution beitragen. Dabei sind bei ADHS problemlösende wie auch emotionsregulierende Strategien gleichermaßen wichtig.

Im Jahr 2012 wurde von Greiner und Kollegen ein manualisiertes Konzept zur Stressbewältigung bei Erwachsenen mit ADHS veröffentlicht.[6]

Entwicklung von Coping-Strategien bei ADHS

ADHS-Störungsmodell nach Safren et al.:[7] Deutlich werden die verschiedenen Funktions- und Lebensbereiche, die durch die Symptomatik beeinträchtigt sind und welche von den Betroffenen kompensiert werden müssen. Oftmals besteht ein regelrechter Teufelskreis.

ADHS ist ein heterogenes und spektrales Störungsbild. Es kann sich phänomenologisch nicht nur von Patient zu Patient stark unterscheiden, auch über die Lebensspanne können die Symptomatik und das klinische Gesamtbild größeren Veränderungen unterliegen und deutlich in der Ausprägung schwanken. Für den Fall einer genetisch determinierten ADHS gilt jedoch, dass sich die typischen Schwierigkeiten der Emotions- und Verhaltensregulation in der Regel bereits früh bemerkbar gemacht und Schwierigkeiten verursacht haben.

Die Probleme, die sich aus der mangelnden Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Hyperaktivität ergeben, machen sich am deutlichsten in Umfeldern bemerkbar, in denen soziale Anpassung, ein Einhalten von Regeln sowie Leistung gefordert sind. Das heißt, im entsprechenden Ausmaß frühestens in Kindergarten und (Vor-)Schule, spätestens jedoch im frühen Erwachsenenalter mit dem Eintritt ins Berufsleben, oder mit der Aufnahme eines Hochschulstudiums.

ADHS-Betroffene mit beeinträchtigender Symptomausprägung haben große Schwierigkeiten, die Erfordernisse in den genannten Umfeldern und Situationen zu erfüllen. Auch mit großer Anstrengung können sie oftmals nicht das erwartete Anpassungs- und Leistungsniveau erreichen. Dies ist mit sich wiederholenden negativen Rückmeldungen des Umfelds verbunden, welche die Betroffenen belasten und auch zu einer Verfestigung und Ausweitung des Störungskomplexes beitragen können (→ siehe auch: ADHS-Teufelskreis). Da die Erfordernisse auf den herkömmlichen Wegen nicht direkt erfüllt werden können, suchen die Betroffenen nach Alternativmöglichkeiten, mit denen die mangelnden Ressourcen, oder der mit diesen verbundene Stress ausgeglichen werden soll. Diese Adaptionen werden meist in Gestalt bestimmter Verhaltensanpassungen umgesetzt; die Kompensation erfolgt also auf kognitiver Ebene. Das heißt, sie sind erlernt.

Indes sind jedoch auch - vor allem mit Hinblick auf das vermutlich dysfunktionale dopaminerge System - nachhaltige neuroplastische Veränderungen auf Stoffwechselebene in der Diskussion.[8] Dahingehend fehlen jedoch noch wissenschaftliche Daten

Probleme bei der Umsetzung von Coping-Strategien

Zur Umsetzung konstruktiver Bewältigungsstrategien sind bestimmte Ressourcen vorausgesetzt, auf die ein Betroffener zurückgreifen kann. Ein großes Problem im ADHS-Kontext ist, dass sowohl intrapsychische und kognitive, als auch externe psychosoziale Ressourcen im Patientenumfeld häufig mangelhaft sind. Dieser prekäre Ressourcenmangel begünstigt die Entwicklung einer schweren Symptomatik, für die gegebenenfalls eine medikamentöse Einstellung als therapeutische Initialzündung angezeigt sein kann.

Von Greiner und Kollegen wurden diverse Ressourcenbereiche beschrieben, welche für ADHS besonders relevant sind.[9] So haben Betroffene häufig negative Kontroll- und Selbstwirksamkeitserwartungen, eine geringe Lebenszufriedenheit,[10] ein geringes Selbstbewusstsein und eine pessimistische Erwartungshaltung. Das eigene Kohärenzerleben (im Bezug auf ein grundlegendes Gefühl eines Vertrauens in die Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit von Ereignissen) ist gestört. Was für andere Menschen als Herausforderung wahrgenommen wird, kann von den Betroffenen als Stressor, erhebliche Belastung oder gar Bedrohung empfunden werden. Die Wahrnehmung, die sich aus dieser Ressourcen-Situation ergibt, beinhaltet - außer einer Flucht- und Vermeidungsreaktion - nur wenige bis keine Handlungsmöglichkeiten. Nachvollziehbar ist hier die Entwicklung auch von komorbiden Depressionen und (sozialen) Angststörungen, welche sich eben nicht nur syndromtypisch darauf begründet sind, dass Menschen mit ADHS häufiger Fehler machen, sondern auch auf der von Grund auf geringen Resilienz[11][12] und den häufigen selbsterfüllenden Prophezeihungen, die mit einer negativen Selbstwahrnehmung verbunden sind.

Maladaptationen

Entwicklung von Maladaptationen

Als Maladaptationen (oder dysfunktionale Bewältigungsstrategien) werden hingegen Kompensationsmuster bezeichnet, welche aus Patientensicht eine ausgleichende Funktion haben, ihm in der Bilanz und auf lange Sicht aber eher schaden. Maladaptationen werden von Menschen mit ADHS eher angewandt, als konstruktive Coping-Strategien, da letztere mit einem organisatorischen (Erlernungs-)Aufwand und vorausschauender Verhaltensplanung verbunden sind und oftmals Unterstützung, Hilfe und Kontrolle durch Dritte erforderlich machen.

Bei dysfunktionalen Bewältigungsstrategien steht, statt einer praktischen Lösung, die emotionale Kompensation oder Vermeidung im Vordergrund. Die Betroffenen sind sich ihrer schädlichen Auswirkungen oftmals nicht richtig bewusst, oder sehen in ihnen einen alternativlosen Kompromiss. Maladaptationen können beispielsweise bestimmte Denkstile sein, etwa negative Selbstkonzepte oder Erwartungshaltungen, aber auch Vermeidungs- oder Risikoverhalten, wie zum Beispiel der Konsum von Rauschmitteln.

Dysfunktional kann ein Kompensationsverhalten jedoch auch sein, wenn der Betroffene zur Umsetzung desselben zu viel Energie aufwenden muss, sodass andere Bereiche (zum Beispiel der Verhaltensregulation oder Lebensbereiche) vernachlässigt werden.

Allgemeines Risikoverhalten

  • Im Straßenverkehr[13]: Riskantes Fahren mit hohen Geschwindigkeiten, um über erhöhtes Stresslevel Konzentration aufrecht zu erhalten und Langeweile zu entgehen
  • Sensation Seeking[14]: Ausüben risikoreicher Sportarten, Promiskuität mit Risiko von Geschlechtskrankheiten und unerwünschter Schwangerschaft
  • Provozieren anderer mit evtl. Gewaltbereitschaft (insb. bei Störungen des Sozialverhaltens)
  • Höhere Bereitschaft zum Ausprobieren von Drogen.[15][16]

Überkompensatorisches Verhalten

Verhalten kann dann überkompensatorisch sein, wenn andere Lebens- oder Aufgabenbereiche aufgrund der Konzentration auf einen Bereich vernachlässigt werden. Ein bekanntes Beispiel ist der sogenannte Workaholismus. Überkompensatorisches Bewältigungsverhalten kann sich aber zum Beispiel - gerade bei ADHS - auch in Form einer Art Ordnungswahns äußern, welcher im äußersten Fall die Qualität einer Zwangsstörung hat.

Eine typische und sehr häufige Reaktion auf das Vorhandensein von körperlichen, geistigen, charakterlichen oder sozialen Mängeln ist überkompensatorisches Verhalten.[17] Dabei steht zum Beispiel bei ADHS nicht die Kompensation der eigentlichen Symptomatik im Vordergrund, sondern der Ausgleich und die Vermeidung vornehmlich emotionaler, bzw. selbstwertmindernder Faktoren.

Überkompensation ist im Grunde maladaptiv. Zwar muss sie nicht zwingend schädliche Auswirkungen haben, zumindest aber geht sie mit einer Verschwendung bzw. einer ineffizienten oder unproduktiven Anwendung der vorhandenen Ressourcen einher. Schädlich wird überkompensatorisches Verhalten dann, wenn andere Bereiche durch die einseitige Konzentration auf den einen Bereich zu sehr vernachlässigt werden, wie beispielsweise beim Workaholism. Im äußersten Fall bedingt solch eine Überkompensation ein derart unausgeglichenes Haushalten mit vorhandenen Ressourcen, dass andere Bereiche vollkommen vernachlässigt werden. Eine häufige Folge ist die (ebenso maladaptive) Entwicklung von Substanzabhängigkeiten, mit denen das entstandene Ungleichgewicht (zum Beispiel durch das übermäßige Arbeiten) wiederum ausgeglichen werden soll, sowie weiteren komorbiden Folgestörungen, darunter vor allem Depressionen.

Ebenfalls begünstigend für komorbide Folgestörungen, etwa für Zwangsstörungen, ist eine überkompensatorische Selbstorganisation, wie sie bei ADHS häufiger beschrieben wird. Anders, als man es bei den Betroffenen erwarten würde, sind diese dann in den für sich priorisierten Bereichen auffällig gut organisiert und ordentlich. Während diese Bereiche jedoch mit großer Sorgfältigkeit strukturiert sind, werden andere Bereiche komplett vernachlässigt. Beispielsweise ist das Wohnzimmer, in dem auch spontan Besuch erwartet werden kann, stets vorzeigbar und aufgeräumt, während sich im Schlafzimmer Wäscheberge und Gerümpel türmen. Dieser Raum soll dann von anderen keinesfalls betreten werden. Hier macht sich die bei ADHS typische, mangelnde Fähigkeit zur sinnvollen Prioritätensetzung bemerkbar, welche durch die Zwangshandlung auszugleichen versucht wird.

Ein klassisches Beispiel für weniger schädliches, aber unproduktives überkompensatorisches Verhalten wäre etwa ein überheblicher sozialer Habitus, im Einzelnen zum Beispiel in Form eines überzogenen Wettbewerbsverhaltens (bspw. Besserwisserei), um einen geringen Bildungshintergrund, geringe kognitive Fähigkeiten oder andere subjektive Unzulänglichkeiten zu kaschieren. Dies ist laut verschiedener Autoren auch bei manchen ADHS-Betroffenen beliebt, weil das gewünschte Selbstbild sehr oft nicht mit der Fremdwahrnehmung übereinstimmt, da ADHS-Betroffene häufig als weniger intelligent wahrgenommen werden, als sie es tatsächlich sind, oder aber ein negatives Selbstkonzept haben, das ebenfalls nicht unbedingt mit der Fremdwahrnehmung übereinstimmen muss. Eine Neigung zu solchem Verhalten kann jedoch mit einem Risiko zur Entwicklung komorbider Persönlichkeitsstörungen verbunden sein.

Rollenübernahmen

Wie bei zahlreichen anderen psychiatrischen Störungen ist auch bei ADHS ist das Übernehmen bestimmter Rollen häufig.[18] Dabei werden bestimmte Persönlichkeitsmasken bewusst in das eigene Verhalten integriert. Nicht unbedingt handelt es sich dabei um ein dysfunktionales Verhalten und soziale Anpassung ist ubiquitär in der ganzen Gesellschaft üblich. Bei ADHS erfolgt die Rollenübernahme jedoch häufig aus einem minderwertigen Selbstkonzept oder aus dem protektiven Bedürfnis heraus, eine sozial konformere Persönlichkeitsstruktur zu imitieren, während die als ich-synton erlebten ADHS-Merkmkale unterdrückt werden sollen.[19]

Gleichwohl ist bei ADHS-Betroffenen auch eine überspitzte Übernahme stereotyper Rollenbilder zu beobachten, zum Beispiel eine betonte zur Schau Stellung des hyperaktiven Verhaltens, mit dem Ziel, andere zu unterhalten und zum lachen zu bringen, um zu provozieren, oder um paradoxerweise die Angriffsfläche zu reduzieren. Humor und ein gewisses Maß an Selbstironie können jedoch auch durchaus ein konstruktiver Skill für den Umgang mit der Erkrankung sein. →Siehe auch: ADHS und Humor.

Rollenübernahmen sind dann maladaptiv, wenn sie für andere störend sind, oder wenn sie nicht adäquat situationsabhängig vollzogen werden, sondern dauerhaft und aus Selbstablehnung heraus, sodass weite Teile der eigenen Persönlichkeit maskiert werden, das heißt, auch solche, die von der Umwelt nicht als störend empfunden werden. Sie implizieren dann auch Identitätskonflikte mit dem Entwicklungsrisiko weiterer Störungen.

Schädlich ist das Verhalten auch, wenn es mit häufigem Lügen verbunden ist. Eine Konfundation aus dysfunktionalen Rollenübernahmen und Lügen sind bei einer problematischen ADHS häufig anzutreffen.

Lügen

ADHS ist mit immer wieder auftretenden Missgeschicken und sozial unerwünschtem Verhalten verbunden. Viele Betroffene wählen daher den Weg des Erzählens von Unwahrheiten, um Tadel, Ablehnung oder Abwertung zu vermeiden.

Typisch für ADHS-Betroffene ist auch eine Form des kompensatorischen Lügens aufgrund des schwachen Arbeitsgedächtnisses und Erinnerungsvermögens. Dabei werden subjektiv weniger wichtig empfundene Details durch eine kompensatorische Integration von (inhaltlich passend erscheinenden) Unwahrheiten in die Erzählung eingebunden, um den Redefluss nicht durch zu langes Nachdenken zu unterbrechen.

Häufiges oder gar regelmäßiges Anwenden von Lügen schränkt die Glaubwürdigkeit, die Vertrauenswürdigkeit und die soziale Wertschätzung und Reputation des Betroffenen auf Dauer stark ein.

Siehe auch Hauptartikel: → Lügen und ADHS.

Vermeidungsverhalten

Vermeidungsverhalten bezeichnet das grundsätzliche Verhalten, als unangenehm oder bedrohlich wahrgenommene Situationen grundsätzlich zu vermeiden. Es wird im Laufe des Lebens durch eine Kombination aus klassischer und operanter Konditionierung erlernt.[20] Vermeidungsverhalten ist unter ADHS-Betroffenen sehr verbreitet. Die Entwicklung der zu Grunde liegenden Ängstlichkeit geht auf negative Erfahrungen zurück, die in den jeweiligen Stituationen gemacht wurden - überwiegend handelt es sich dabei um soziale Wettbewerbs-, Prüfungs- oder Leistungssituationen oder schlicht solche, in denen die Betroffenen aufgrund ihrer Symptomatik oder Unzulänglichkeiten damit rechnen, sozial auffällig zu werden, oder zu versagen - denn solchen Situationen sind die meisten Betroffenen im Laufe ihres Lebens immer wieder ausgesetzt gewesen. Bedeutend ist dabei auch die Diskrepanz zwischen dem subjektiven und dem objektiven Charakter der Situation: Für Menschen mit vermeidendem Verhalten können bereits alltägliche Situationen eine bedrohliche Qualität haben, sodass das dysfunktionale Verhalten häufig mit weiteren Maladaptationen und psychischen Störungen konfundiert ist, beispielsweise negativen Selbstwirksamkeitserwartungen und Kausalattribuierungen[21] diversen Persönlicheitsstörungen, der sozialen Phobie oder Angststörungen.

Vermeidungsverhalten ist ein bedeutender Faktor hinsichtlich des ADHS-typischen Teufelskreises, denn:

  • Durch die Vermeidung einer Situation ist für den Betroffenen nicht erfahrbar, ob und dass er in der Lage wäre, die herausfordernde Situation zu bewältigen
  • Er kann nicht erfahren, ob die angenommene Bedrohung überhaupt eine wirkliche Bedrohung für ihn darstellt
  • Somit verfestigt sich das Paradigma, dass es sich um eine Bedrohung handelt und
  • Der Betroffene kann geneigt sein, diese Vorstellung in der Fantasie weiter auszubauen und das Vermeidungsverhalten wird generalisierend auf ähnliche Situationen ausgedehnt.

Vermeidungsverhalten ist eng verwandt und je nach Bezug identisch mit Aufschiebeverhalten (Prokrastination).

Oppositionelles Verhalten

Während für die Ursachen komorbiden oppositionellen Verhaltens teilweise auch neurobiologische Risikofaktoren diskutiert werden,[22] ist jenes Verhalten jedoch eine im Grunde ubiquitäre Bewältigungsreaktion auf sozialen Konformitätsdruck. Für zahlreiche ADHS-Betroffene stellt das rebellische Verhalten die subjektiv einzige Möglichkeit dar, gegenüber des permanenten sozialen Anpassungsdrucks Eigenständigkeit zu demonstrieren und zu empfinden.[23]

Kriminalität

Siehe auch Hauptartikel: ADHS und Kriminalität.

Vor allem die Prädiktoren erhöhtes Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko, häufige Misserfolge, gesellschaftliche Isolation, Impulsivität, geringe Frustrationstoleranz, Suchtdruck (Beschaffungskriminalität) und mangelhaftes Selbstwertgefühl machen Delinquenz zu einem dysfunktionalen Adaptionsverhalten, das bei ADHS vergleichsweise häufig ist. Für Delinquenten mit schwerer ADHS-Symptomatik stellt das kriminelle Verhalten manchmal die scheinbar einzige Möglichkeit dar, die vielfältigen Ressourcenmängel - wie zum Beispiel mangelnde Anerkennung und Erfolge, fehlende soziale Ressourcen, Verschuldung - zu ertragen. Diese sollen dann über das kriminelle Verhalten kompensiert werden.

Direkt benachbart mit Delinquenz ist der Konsum und die Beschaffung illegaler Drogen, wobei das Suchtrisiko bei ADHS erhöht ist.

Sucht

Siehe auch Hauptartikel: ADHS und Sucht.

Zu den häufigsten und schädlichsten Maladaptationen bei ADHS zählen Abhängigkeitserkrankungen, darunter zuvorderst Substanzabhängigkeiten wie schädlicher Alkohol-, Cannabis- und Nikotingebrauch, aber auch substanzungebundene Abhängigkeiten wie Internet- oder Glücksspielsucht. Bei der Entwicklung eines solchen schädlichen Verhaltens muss bei ADHS stets der ganze pathologische Komplex betrachtet werden, denn eine Suchtproblematik wird auch bei ADHS eher dann entwickelt, wenn die Betroffenen durch zusätzliche Stressoren und andere negative Wirkfaktoren belastet sind und unter einer mangelhaften Ressourcenbilanz leiden.

Eine isolierte, leichte bis moderate ADHS-Symptomatik führt nicht automatisch in eine Sucht. Anders ist dies häufig bei schwerer Ausprägung: Hier ist das Suchtrisiko sehr hoch - denn eine unbehandelte, schwer oder schwerst ausgeprägte ADHS Symptomatik, welche in der Regel auch eine Reihe zusätzlich belastender Komorbiditäten beinhaltet, geht mit einem massiven Leidensdruck einher, gegenüber dem sich die Betroffenen hilflos ausgeliefert fühlen. In diesem Zusammenhang sprechen diverse Autoren auch von Selbstmedikationsversuchen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass einige ADHS-Betroffene unter Gabe von Methylphenidat von einem geringeren Craving (das Bedürfnis, psychotrope Substanzen zu konsumieren) berichten. In einer Studie von Huss fanden sich zudem Hinweise, dass die Gabe von Methylphenidat suchtprotektiv wirken könnte.[24]

Weitere Verhaltensstörungen

Zu weiteren dysfunktionalen Verhaltensstörungen zählt beispielsweise auch das Nägelkauen (Onychophagie).[25][26] Derartige (selbstschädigende) Handlungen empfinden die Betroffenen etwa in den unangenehmen Phasen der inneren Unruhe als stressreduzierend und entspannend.

Konstruktiver Umgang mit ADHS

Grundlagen und Voraussetzungen

Eine problematische ADHS ist behandlungsbedürftig und macht ein für den Patienten individualisiertes Therapiekonzept erforderlich. Die Basis des multidisziplinären Behandlungskonzepts wird in der Regel durch die Psychotherapie gebildet.[27] In dieser sollen dem Patienten im Sinne einer kognitiven Restrukturierung konstruktive Bewältigungsmöglichkeiten vermittelt werden, sodass dieser lernen kann, besser mit seiner Beeinträchtigung umzugehen.

Für das Erlernen und Anwenden konstruktiver Coping-Strategien ist es fundamental wichtig, dass der ADHS-Patient die dynamische Ursachenverkettung seiner Probleme begreift und einordnen kann. Dazu müssen die vorhandenen Schwierigkeiten und das dysfunktionale Verhalten im Rahmen der Verhaltenstherapie oder des Coachings zunächst mit Hilfe des Therapeuten sichtbar gemacht und entschlüsselt werden.

Ist diese Grundlage geschaffen, können weitere Herangehensweisen und Maßnahmen konzipiert werden, sodass die Therapie durch passende Kompensationsmöglichkeiten unterstützt und bisherige Maladaptationen durch konstruktive Coping-Strategien ersetzt werden können.

Bei schwerer Ausprägung ist vor dem Hintergrund des dynamischen ADHS-Problemkonglomerats davon auszugehen, dass zumindest zum Therapiebeginn eine flankierende Medikamentengabe notwendig ist.[28]

Sinnvoll ist letztlich eine hierarchisierte bzw. priorisierte und gleichzeitig dynamische Konzeption des therapeutischen Vorgehens und der Zielsetzungen, die eine Berücksichtigung der komplexen Störungsproblematik ermöglicht.

Vorhandene Ressourcen erkennen und aktivieren

Wenngleich Menschen mit ADHS mit vielfältigen und mitunter schwerwiegenden Problemen und Einschränkungen belastet sind, haben sie - wie andere Menschen auch - individuelle Ressourcen. Der Herausarbeitung dieser Ressourcen kommt in der Therapie eine besonders wichtige Rolle zu. Zum einen, da die Betroffenen oftmals ein sehr schwach ausgeprägtes Selbstwertgefühl haben und selbst gar nicht wissen oder für sich sagen könnten, welche Stärken und positiven Eigenschaften sie auszeichnen. Zum anderen ist beim Entdecken der Ressourcen und Stärken oft die therapeutische Hilfe gut und notwendig. Hier profitieren Sie sehr vom Feedback des Therapeuten bzw. Coaches oder auch von dessen gezielter Anleitung zur Reflexion.

Grundlage für die Identifizierung und -Aktivierung der personalen Ressourcen bildet - neben der Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen und Erfolgserlebnissen - zunächst die Restrukturierung ungünstiger Erwartungshaltungen und Denkstile, aus der sich entsprechende Handlungsmuster und -Gewohnheiten ergeben. Für eine positive Einstellung zu sich selbst, für ein gesundes Selbstwertgefühl und für eine erfolgreiche Alltagsgestaltung ist es unerlässlich, sich selbst mit seiner eigenen Struktur zu kennen und anzunehmen.

Aufgrund vielfältiger und auch lang anhaltender und immer wieder kehrender Misserfolgserlebnisse und aufgrund häufiger Feedbacks der Umwelt (Eltern, Partner, Arbeitgeber, etc.), man solle anders sein und sich anders verhalten, bildet sich bei Menschen mit ADHS sehr häufig der tiefe Wunsch heraus, „normal zu sein“. D.h. so zu sein, so zu denken, so zu fühlen und so zu handeln, wie die meisten anderen Menschen im Umfeld es tun. So zu lernen wie "die anderen". So zu arbeiten, wie „die anderen“. So zu leben, wie „die anderen“. Wenn diese Erwartungshaltung an sich selbst in diese Richtung zeigt, dann führt dies in aller Regel zu immer weiteren Misserfolgen und weiterem Leidensdruck.

Je besser ein Betroffener sich selbst kennt, versteht und annimmt, desto zufriedener, gesünder und erfolgreicher kann er sein Leben gestalten. Das Umdenken bzgl. des eigenen Selbstbildes und der eigenen Erwartung an sich selbst und die eigenen Stärken zu erkennen und schätzen zu lernen, ist der Schlüssel zu langfristigen Therapieerfolgen.

Positiv-Tagebuch

Ein bewährtes therapeutisches Mittel zur Förderung der Wahrnehmung eigener Ressourcen und Stärken ist z.B. das sog. "Positivtagebuch". Hier reflektiert der Patient/Coaching-Klient (wenn möglich) täglich abends, welche positiven Eigenschaften und Stärken er am jeweiligen Tag bei sich selbst wahrgenommen hat. Hier können Erfolgserlebnisse oder andere Situationen notiert werden und dazu wird ebenfalls notiert, welchen Anteil der Patient selbst an der positiven Situation hatte. Dadurch wird die Wahrnehmung für die eigenen Stärken geschult und die eigene Selbstwirksamkeit unterstützt.

Stressbewältigung und Skills

In der Psychotherapie werden zahlreiche unterschiedliche Stressbewältigungsmodelle angewandt. Im Rahmen der Therapie ist für den Einzelfall zu entscheiden, welche Stressbewältigungsmethode geeignet ist, da die verschiedenen Modelle unterschiedliche Lebens- und Problembereiche betreffen. Während zum Beispiel in der klassischen kognitiven Verhaltenstherapie vornehmlich auf die Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen abzielt, liegt in der GTD-Methode[29] der Fokus auf der Optimierung des Alltagsmanagements. Für die Therapiekonzeption sollten insofern stets die Bereiche priorisiert und miteinander kombiniert werden, welche die höchste Korrelation mit der Gesamtproblematik haben.

Prinzipiell gilt es, zur Stressbewältigung und langfristigen Reduktion des Stresslevels auf zwei Ebenen anzusetzen:

  1. Identifikation und Reduktion der Stressoren (Stressauslöser, Stressverstärker)
  2. Identifikation und Verstärkung von Erholungszeiten und energiespendenden Tätigkeiten

Zu Punkt 1 gehören allen voran das Achtsamkeitstraining zur Reduktion negativer Attributionen und Bewertungen und Steigerung von Akzeptanz und Gelassenheit, Strategien zur Gefühlsregulation und Strukturierung des Alltags.
Zu Punkt 2 gehören schwerpunktmäßig Bewegung/Sport/körperliche Betätigung, kreative Beschäftigung (Kunst, Musik, etc.), Gesellschaft von und Austausch mit wohlwollenden Mitmenschen und Aufenthalt in der Natur.

Bezüglich der Grundsymptomatik der ADHS wurden von Hesslinger und Kollegen bestimmte Bausteine aus dem Fertigkeitentraining der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT) nach Linehan herausgestellt, bzw. für eine Adaption zur ADHS-Therapie vorgeschlagen.[30]

  • Achtsamkeitstraining (Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefizite)
  • Stressbewältigungstraining (Impulsivität)
  • Selbstregulationstraining (Emotionsregulation)
  • (Social) Skill-Trainig (zwischenmenschliche und Alltagsfertigkeiten)

Dabei lautet das übergeordnete Ziel, „ADHS zu kontrollieren und nicht durch ADHS kontrolliert zu werden“.[31]

Grundsätzlich ist Stressbewältigung aber nicht an ein bestimmtes, oder generell an Therapiekonzepte oder -Bestandteile gebunden. Auch muss es sich nicht um explizite Stressbewältigungsprogramme wie Yoga oder Autogenes Training handeln. Bewältigung von Stress kann beispielsweise auch durch das Ausüben eines favorisierten Hobbies oder Sportart erreicht werden. Letztlich gilt diejenige (In-)Aktivität als Stressbewältigung, die für den Betroffenen funktioniert und nicht mit negativen Auswirkungen verbunden ist.

Soziale Ressourcen

Da sich die soziale ADHS-Problematik meist nicht nur auf die Symptomebene beschränkt, sondern auch erlerntes, dysfunktionales Verhalten mit einschließt, sollten auch ungünstige Aspekte im Sozialverhalten identifiziert, entschlüsselt und restrukturiert werden.

Auch sollten Familie und enge Freunde in die Psychoedukation einbezogen werden, um diesen wichtigen Ressourcenbereich abzusichern.

Rolle der Pharmakotherapie

In schweren Fällen kann eine medikamentöse Therapieergänzung erst die Voraussetzungen für den Therapieeinstieg schaffen. Für die Patienten gewährleistet die medikamentöse Therapie-Flankierung oftmals die notwendige Entlastung auf Symptomebene. Eine schwere Symptomatik schließt meist gravierende psychosoziale, ökonomische, komorbide und zahlreiche andere zu bearbeitende Problemfelder mit ein.[32] Die Gesamtbelastung ist dann so groß und die Ressourcen beim Patienten so gering, dass eine Therapie ohne die initiale Entlastung durch die Medikamente zunächst nicht umsetzbar ist.

Sonstiges

Pränataler Stress der Mutter

Eine Studie von Penell und Ronald weist darauf hin, dass ein erhöhter vorgeburtlicher Stress der Mutter das ADHS-Risiko erhöhen könnte.[33]

Studien und wissenschaftliche Publikationen

Literatur

Weblinks

Siehe auch

Weitere interessante Artikel

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Einzelnachweise

  1. http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2006/3018/pdf/GloegglerBettina-2005-10-15.pdf
  2. http://www.uni-koblenz.de/~psy/sander/Entwicklungspsycho/10_Praesentation.ppt
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Salutogenese
  4. Nawid Peseschkian in VR FrauenForum 2012
  5. http://digibib.hs-nb.de/file/dbhsnb_derivate_0000000358/Bachelorarbeit-Rudolphi-2009.pdf
  6. https://goo.gl/bQ5f8O
  7. Safren SA, Perlman CA, Sprich S, Otto MW. Kognitive Verhaltenstherapie der ADHS des Erwachsenenalters. Deutsche Bearbeitung von Esther Sobanski, Martina Schumacher-Stien und Barbara Alm. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2009.
  8. https://www.praxis-institut.de/fileadmin/Redakteure/Sued/FT_Veranstaltungen/FT2009_Bonney_ADHS_Nuernberg_Folien.pdf
  9. vgl. Greiner, Langer, Schütz. Stressbewältigungstraining für Erwachsene mit ADHS. Springer (2012) S. 26.
  10. https://ediss.uni-goettingen.de/bitstream/handle/11858/00-1735-0000-0006-AD37-0/lackschewitz.pdf?sequence=1
  11. https://ediss.uni-goettingen.de/bitstream/handle/11858/00-1735-0000-0006-AD37-0/lackschewitz.pdf?sequence=1
  12. http://www.shortnews.de/id/690477/australien-wissenschaftler-finden-grund-fuer-mangelnde-stressbewaeltigung-bei-adhs#
  13. https://goo.gl/e9TPTx
  14. https://goo.gl/e9TPTx
  15. http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=2575
  16. http://neurologie-psychiatrie.universimed.com/artikel/substanzmissbrauch-bei-adhs-verh%C3%A4ngnisvolle-selbstmedikation
  17. http://www.psychology48.com/deu/d/ueberkompensation/ueberkompensation.htm
  18. http://www.volkskrankheit.net/adhs/adhs-bei-erwachsenen/
  19. Schütz 2005
  20. Miller, N.E. (1951). Learnable drives and rewards. In: S.S. Stevens (Ed.). Handbook of experimental psychology. New York: Wiley, 435-472
  21. https://books.google.de/books?id=_wznWWvF-f8C&pg=PA156&lpg=PA156&dq=vermeidungsverhalten+adhs&source=bl&ots=3YdPTf7QfH&sig=JfWhgoZoZ86Kj1HmEFyO9y9KbWk&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjsgpyq5cnNAhVGnBoKHV2DDa8Q6AEIVDAI#v=onepage&q=vermeidungsverhalten%20adhs&f=false
  22. https://www.aacap.org/App_Themes/AACAP/docs/resource_centers/odd/odd_resource_center_odd_guide.pdf
  23. https://books.google.de/books?id=I1jyBQAAQBAJ&lpg=PA134&ots=f8jjBi8Mrf&dq=adhs%20soziale%20ressourcen&hl=de&pg=PA134#v=onepage&q&f=false
  24. http://adhspedia.de/Downloads/studien/Methylphenidat_und_Suchtentwicklung.pdf
  25. http://www.psychosoziale-gesundheit.net/bb/06kiju.html
  26. https://de.wikipedia.org/wiki/Onychophagie
  27. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15896281
  28. http://www.info-adhs.de/adhs-im-kindes-und-jugendalter/adhs-behandeln/medikamentoese-behandlung.html
  29. https://de.wikipedia.org/wiki/Getting_Things_Done
  30. https://books.google.de/books?id=JIfXmjTd_kUC&pg=PA32&lpg=PA32#v=onepage&q&f=false
  31. https://books.google.de/books?id=JIfXmjTd_kUC&pg=PA32&lpg=PA32#v=onepage&q&f=false
  32. http://edoc.rki.de/oa/articles/rejTCnDvkbAo/PDF/22RjItv36zPo.pdf
  33. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3153828/