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Sucht

Aus ADHSpedia
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Dieser Artikel behandelt das Thema Sucht im Zusammenhang mit ADHS.

Begriffsbestimmungen

Als schädlicher Gebrauch (ICD-10: F1X.1) wird Konsumverhalten bezeichnet, das zu psychischen, sozialen und / oder organischen Schäden führt.

Abhängigkeit ist hingegen kein einheitliches Erscheinungsbild. Die frühere Differenzierung in körperliche und psychische Abhängigkeit ist aufgrund der erschwerten und unscharfen klinischen Unterscheidung aufgegeben worden. In den Diagnosesystemen ICD-10 und DSM-IV sind entweder acht oder neun Kriterien enthalten, von denen drei mindestens einen Monat oder mehrfach in den vergangenen 12 Monaten bestanden haben müssen. Die Diagnosekriterien für das Abhängigkeitssyndrom gemäß ICD-10 und DSM-IV lauten:

  • starker Wunsch oder eine Art Zwang, Substanzen oder Alkohol zu konsumieren.
  • verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums
  • körperliches Entzugssyndrom (u.a. Zittern, Schweißausbrüche, Nervosität, Unruhe, Kopfschmerzen, Übelkeit) oder Substanzgebrauch mit dem Ziel, Entzugssymptome zu mildern
  • Toleranzentwicklung bezüglich Substanzwirkung (immer höhere Mengen der Substanz, um die gewünschte Wirkung zu erlangen)
  • Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums (erhöhter Zeitaufwand die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen)
  • Anhaltender Konsum trotz eindeutiger körperlicher und psychischer Folgen.

Evaluation

Astrid Neuy-Bartmann im Zusammenhang mit ADHS und Sucht:

„Sucht ist bei ADHS ein bisher völlig unterschätztes Thema. ADHS-ler sind extrem und auf der ständigen Suche nach mehr. Das prädisponiert sie zur Sucht. Sie suchen das permanente Glück, das vollkommene Leben und sie sind ständig auf der Flucht vor Langeweile und innerer Leere. So haben sie nicht gelernt, die Widrigkeiten des Lebens auszuhalten und sie haben unrealistische Erwartungen an das Leben. Auch sind sie Getriebene und Suchende und wissen doch oft so gar nicht, was sie suchen. Eigentlich ist es Harmonie, Erfüllung, Zufriedenheit, aber ihr unstetes Wesen treibt sie immer wieder an, wie der Jäger der nach einer erfolgreichen Jagd nur kurzfristig zufrieden sein kann, weil er weiß, dass er wieder Hunger bekommen wird und er erneut die Jagd aufnehmen muss. Es ist wie ein permanentes Jagdfieber, einerseits Reiz und Spannung, aber auch Elend zugleich, weil die Normalität und der Alltag oft so schlecht gelebt und ausgehalten werden können. Und was für einen ADHS-er am schlimmsten ist, ist Langeweile und Alltag, weil er sich hier nicht gefordert und stimuliert fühlt. Er braucht immer einen starken Reiz oder Spannung, um sich wach und aufmerksam zu fühlen, sonst wird er eben leicht dösig, gelangweilt und kann für nichts mehr Begeisterung und Konzentration aufbringen“.[1]

Das Suchtspektrum bei ADHS-Betroffenen ist, wie bei nicht Betroffenen, breit, wenngleich ADHS-Betroffene im Vergleich häufiger zur Entwicklung von Suchterkrankungen neigen. Neben häufigem Substanzmissbrauch wie Alkohol- Nikotin- und Cannabis neigen Betroffene auch häufiger zum Missbrauch von Medien und Internet. Über einen direkten Zusammenhang zwischen ADHS und Hypersexualität wird aktuell diskutiert. Auch Aufgrund ihrer Experimentierfreudigkeit und Offenheit gegenüber Neuem ist das Suchtpotenzial gegenüber harten Drogen bei ADHS-Betroffenen erhöht.

Nikotin

Es existieren zahlreiche Studien zu Nikotinkonsum im Zusammenhang mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Rund 50% der ADHS-Betroffenen sind Raucher (Im Vergleich zu 26% der Normalbevölkerung). Es zeigten sich signifikante Unterschiede im Konsumverhalten zwischen ADHS-Betroffenen und nicht Betroffenen Jugendlichen und Erwachsenen. ADHS-Betroffene rauchen mehr, das Risiko für die Entstehung einer Nikotinabhängigkeit ist doppelt so hoch.[2] ADHS-Betroffene beginnen in der Jugend früher mit dem Rauchen. Im Erwachsenenalter ist es für Betroffene schwieriger, das Rauchen aufzugeben. Der frühere Beginn ist vermutlich auch auf die Zugehörigkeit einer bestimmten Peergroup zurückzuführen. Das Rauchen scheint neben dem Konformitätsdruck innerhalb der Gruppe einen erleichternden Zugang zur Peergroup darzustellen, da durch den sozialen Ritus, der für das Rauchen wesentlich ist, schnell Beziehungen entwickelt werden können. Die Gebundenheit an die rauchende Peergroup, dessen gemeinschaftliche Aktivität - etwa in der Schulpause / Büroküche - sich vornehmlich auf das gemeinschaftliche Rauchen stützt, erschwert das Aufhören zusätzlich, da mit dem Wegfall der Rauchgewohnheit folgerichtig auch der Wegfall der interpersonellen Grundlage befürchtet wird.

Bemerkenswert ist, dass die Zahl der ADHS-Symptome direkt proportional zur Höhe des Nikotinkonsums zu sein scheint. Dies scheint insbesondere Unaufmerksamkeitssymptome zu betreffen. (siehe auch: Selbstmedikation). Der Konsum von Nikotin wirkt sich bei ADHS-Betroffenen positiv auf die Aufmerksamkeitsleistung aus. Zu einer Verbesserung kommt es auch bei Nichtrauchern mit ADHS. (siehe auch: Nikotin) Dies zeigt, dass die Optimierung der Aufmerksamkeit nicht bloß auf die Linderung von Nikotinentzugssymptomen zurückzuführen sind.[3]

Eine randomisierte Doppelblindstudie mit dem Retardpräparat Concerta (Methylphenidat-OROS) weist ferner darauf hin, dass die Einnahme von Methylphenidat bei vorliegender Nikotinsucht nicht erleichternd auf den Entwöhnungsprozess ADHS-Betroffener einwirkt.[4]

Alkohol

Betroffene neigen häufiger zum übermäßigen Alkoholkonsum. Sie können ihr Konsumverhalten aufgrund ihrer verstärkten Impulsivität weniger gut kontrollieren. Aktuell wird über einen Zusammenhang zwischen Selbstmedikation und Alkohol diskutiert. Die Prävalenz von Alkoholmissbrauch von ADHS-Betroffenen wird mit 33 % bis 44 % im Vergleich zur Normalbevölkerung mit maximal 24 % angegeben. Das Risiko zum Alkoholabusus kann damit als doppelt so hoch angesehen werden.

Internetsucht

In einer Studie an koreanischen Grundschülern mit ADHS wurde das komorbide Auftreten pathologischen Internetgebrauchs im Zusammenhang mit ADHS untersucht. Dabei wurden signifikante Zusammenhänge sowohl mit den Domänen Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität-Impulsivität als auch mit ADHS-Symptomen insgesamt gefunden.[5] Nach Yoo et al. kommen für die Ergebnisse einerseits die mit ADHS einhergehende mangelhafte inhibitorische Kontrolle und der Mangel an strategischer Flexibilität in Frage. Kernfaktor stelle nach Yoo et al. insofern die mangelnde Selbstregulation dar. Durch den Internetgebrauch bekommen Betroffene unmittelbare Belohnung; Sensation Seeking kann spontan befriedigt werden. Das schnelle Wechseln zwischen sogenannten Browser-Tabs ermöglicht ein Springen zwischen interessanten Themen, was den spontanen Interessenswechseln der Betroffenen entgegenkommt. Das Web 2.0 bietet für die Betroffenen ein weitaus höheres Abhängigkeitspotenzial, das Informations- und Unterhaltungsangebot ist weiterhin stark ansteigend[6], schnelle Verbindungen ermöglichen ein beschleunigtes und ungeplanteres Bewegen im Internet.

Perseveration bzw. das mit einer Steigerung des Selbstwertgeühls assoziierte Phänomen des Hyperfokus scheinen Prädiktoren für die Entwicklung pathologischen Internetgebrauchs zu sein. So passiert es häufig, dass Betroffene, die eigentlich nur kurz ihr E-Mail-Postfach überprüfen wollten, nach Stunden bemerken, dass sie ihr eigentliches Vorhaben längst aus den Augen verloren haben. Sie können sich dann - häufig mit der Angst, etwas zu verpassen oder das mit den Stimuli verbundene Wohlgefühl zu verlieren - auch nach Aufforderung nur schwer oder gar nicht von ihrem Internet-Medium lösen.

Online-Gaming-Sucht

Internetspiele sind entsprechend des Neugierverhaltens / der Sensationsgier von Kindern und Jugendlichen mit ADHS in kürzester Zeit variabel wählbar, entsprechen einem multimodalen Stimulus (visuell und akustisch, mitunter sogar taktil durch Force Feedback) und garantieren bei Erfolg eine unmittelbare Belohnung ohne zeitliche Verzögerung. Gerade das Spielen im Internet ermöglicht die Kompensation neurokognitiver, interpersoneller, emotionaler und auch sozialer Defizite. Diese Flucht aus der realen Welt birgt ein hohes Suchtpotenzial in sich, wobei nur eine Minderheit tatsächlich jemals eine Sucht entwickelt. Steigende Konsumzeiten können jedoch das Risiko des Schulversagens erhöhen. Nicht auszuschließen ist zudem, dass exzessiver Fernseh-, Videospiele- und Internetkonsum eine ADHS-ähnliche Symptomatik hervorrufen kann.

Siehe auch: Gaming gegen ADHS (Dokumentation)

Glücksspiel

Spielautomat in Las Vegas, Nevada - moderne Spielautomaten sind durch ihre vielseitigen Stimuli für ADHS-Betroffene besonders attraktiv und fesselnd

Studienergebnisse zeigen auf, dass Glücksspiele bei 19 % der betroffenen Erwachsenen mit ADHS einen Risikofaktor zur Suchtentwicklung darstellen[7]. Dies ist als besonders kritisch zu bewerten, da ADHS-Betroffene meist risikobereiter spielen[8]. Für viele Erwachsene stellt das Glücksspiel eine Möglichkeit dar, ihre stark ausgeprägte Reizsuche zu befriedigen. Moderne Glücksspielautomaten bieten einen multimodalen Stimulus - Neben den grafischen Animationen auf LCD-Monitoren und Sound- und Musikeffekten, die sich dem Charakter eines einsatzlosen Videospiels annähern, sind moderne Geräte in der Lage, auch Vibrationen abzugeben (Force Feedback). Diese Stimuli wirken auf ADHS-Betroffene besonders attraktiv und verleiten zum fortwährenden Spiel.

Ein ADHS-Betroffener Glücksspielabhängiger:

„Mich beunruhigt nicht, dass ich verliere, mich beunruhigt, dass mir das Wetten als solches so viel Spaß macht. Ich meine, es macht mir nicht bloß Spaß. Ich bin ganz wild darauf [...] Ich habe endlich etwas gefunden, das meine Aufmerksamkeit erregt. Es bringt meine Säfte in Wallung wie sonst nichts, beruhigt und entspannt mich gleichzeitig auf sonderbare Weise." [9]

Exzessives, pathologisches Glücksspielen führt Betroffene häufig in die Überschuldung, bis hin zur Insolvenz.

Kaufsucht

(siehe auch: Finanzen)

Kaufsucht oder pathologisches Kaufen tritt häufig sekundär mit der ADHS auf. Es fehlen aktuell genauere Prävalenzangaben der zur ADHS komorbid auftretenden Störung, wenngleich die Betroffenenquote Kaufsüchtiger bundesweit mit 1% angegeben wird.[10]

Das Kaufverhalten, die Kaufimpulse oder der Kaufdrang Betroffener verursachen erheblichen Leidensdruck. Sie sind zeitaufwändig und führen zu weiteren sozialen, beruflichen oder finanziellen Problemen. Grundsätzlich empfinden ADHS-Betroffene mit komorbidem Kaufzwang den Drang zum Kaufen als sich aufdrängend und intrusiv; sie sind der Sinnlosigkeit ihrer Kaufimpulse zumeist bewusst. Die gestörte Impulskontrolle als Disposition zur Risikofreudigkeit, gedankenlosem Handeln und Unfähigkeit zur Planung scheint hauptverantwortlich für das gestörte Kauf- und Konsumverhalten der Betroffenen zu sein. Den Betroffenen geht es vornehmlich um den Kaufvorgang, nicht um das Gekaufte oder das Konsumgut. Die Empfindungen werden dabei als ähnlich derer bei etwa Kleptomanie (pathologisches Stehlen) beschrieben. Dem Kauf geht häufig ein Gefühl starker Erregung oder Spannung voran, gefolgt von tiefer Befriedigung und Glück. Willensanstrengungen ("zusammenreißen") bleiben oft ohne Erfolg; werden die Betroffenen an der Kaufhandlung gehindert, kommt es zu Entzugserscheinungen, etwa in Form vegetativer Erregung.

Die Kaufsucht tritt meist dann sekundär zur ADHS auf, wenn ein komorbid vermindertes Selbstwertgefühl mit der ADHS einhergeht. Die Betroffenen versuchen, durch die Kauf-Exzesse negative Gefühle und Frustrationen zu verdrängen.

Insbesondere das Online-Shopping stellt für ADHS-Betroffene einen Risikofaktor zur Entwicklung und zur Ausweitung pathologischen Kaufens dar. Wege in lokale Ladengeschäfte und umständliche wie zeitaufwändige Abwicklungsvorgänge werden durch das Einkaufen in Online-Shops stark verkürzt, Betroffene können ihren Impulsen unmittelbar folgen.

Wissenschaftliche Publikationen

Deutsch

Englisch

Weblinks

Siehe auch

Weitere interessante Artikel

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Quellen