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Stationäre Therapie

Aus ADHSpedia
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Eine stationäre Therapie kann bei schwerer Ausprägung der ADHS angezeigt sein. Das stationäre Setting eignet sich jedoch nicht für alle Patienten.

Eine teil- oder vollstationäre Behandlung oder Diagnostik bei ADHS kann indiziert sein, wenn die ambulante Untersuchung oder Behandlung nicht ausreichend oder nicht möglich sind. Die vollstationäre Behandlung umfasst neben der erforderlichen psychotherapeutischen und medizinischen Behandlung von ADHS sowie eventuellen Begleitstörungen auch Unterkunft und Verpflegung, während die teilstationäre Behandlung nur eine tagesklinische Versorgung mit einschließt. Zahlreiche Kliniken bieten für Kinder und Jugendliche, die nicht während der Schulferien aufgenommen werden, die Möglichkeit, eine interne Klinikschule zu besuchen, sodass kein Schulstoff der Heimatschule versäumt wird.

Das vollstationäre Setting ist meist mit alltagsbezogenen Einschränkungen verbunden, die auf Patientenseite als belastend empfunden werden können. Stationäre Therapien eignen sich daher nicht für alle Patientengruppen. Für den Einzelfall sollte sorgfältig abgewägt werden, ob eine (unter Umständen erfolgsversprechendere) ambulante oder teilstationäre Behandlung gewählt werden soll.

Teilstationäre Therapie und Diagnostik

Eine teilstationäre Therapie ist vor allem bei einer ausgeprägten ADHS indiziert, wenn die familiäre und schulische Integration gefährdet ist.[1] Der Patient hält sich dabei ab morgens in der Umgebung der Klinik auf und nimmt an einem auf ihn abgestimmten Therapieprogramm teil. Den Abend und die Nacht verbringt der Patient zu Hause. Entscheidende Vorteile hinsichtlich einer teilstationären wie auch vollstationären Diagnostik bildet die Tatsache, dass der Patient über einen längeren Zeitraum in verschiedenen Situationen durch zahlreiche geschulte Personen beobachtet werden kann, wobei die Anforderungen für diagnostische Zwecke gezielt variiert werden können. Der Patient profitiert außerdem von den klaren Strukturen in der Klinik, die gegebenenfalls für die heimische Umgebung konditioniert werden können. Dies macht jedoch die konsequente Mitarbeit des Umfelds/der Eltern unbedingt notwendig. Im weiteren kann die zeitweise Distanziertheit zum heimischen Umfeld psychosozial entspannend wirken, wobei eingefahrene Verhaltensweisen parallel umgelernt werden können.

Eine teilstationäre Therapie macht jedoch ein erhebliches Maß an familiären Ressourcen erforderlich, da die Familie zu den Zeiten, in denen der Indexpatient zu Hause ist, den Belastungen ausgesetzt ist, die durch das Zusammenspiel der Patientensymptomatik und der intrafamiliären Situation entstehen. Diesen Belastungen muss die Familie gewachsen sein, damit die Therapie erfolgreich verlaufen kann.

Ein erheblicher Nachteil hinsichtlich der teilstationären Diagnostik ist die Tatsache, dass sich das klinische Setting deutlich vom heimischen Umfeld unterscheidet. Das geschulte Personal geht zudem anders mit dem Patienten um, als seine Angehörigen, weshalb mit abweichenden/unauffälligen Verhaltensweisen seitens des Patienten gerechnet werden muss. Dies kann sich entsprechend auf die Beobachtungen auf der Station und in der Klinikschule auswirken.

Der permanente Wechsel zwischen den beiden Kontexten ist für viele Patienten irritierend. Die Diskrepanz zwischen den klaren Strukturen in der Tagesklinik und den gelockerten Bedingungen zu Hause kann den Therapieerfolg gefährden. Auch können sich die täglichen An- und Abfahrten zusätzlich belastend auswirken.

Vollstationäre Therapie

Bei der vollstationären Therapie übernachtet der Patient in der Klinik

Im Rahmen einer vollstationären Therapie verbringt der Patient die gesamte Zeit in der Klinik. Er erhält eine Vollversorgung, das heißt, Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie sämtliche Therapiemaßnahmen - darunter auch die medikamentöse Einstellung und Behandlung - finden in der Klinik statt. Ein entscheidender Vorteil der vollstationären Therapie besteht ggf. in der räumlichen Distanziertheit vom heimischen Umfeld, sodass sowohl dem Patienten, als auch seiner Familie Gelegenheit geboten wird, sich von den intrafamiliären Spannungen zu erholen. Gleichermaßen ermöglicht ein vollstationärer Aufenthalt dem Patienten, sich abseits der heimischen sozialen Irritationen zu stabilisieren.

Das klinische Personal hat zudem die Möglichkeit, den Patienten vollumfänglich zu beobachten und die therapeutische Vorgehensweise gegebenenfalls entsprechend anzupassen.

Indikationen stationärer Diagnostik

Eine stationär durchgeführte Diagnostik kann beispielsweise in den folgenden Fällen sinnvoll sein:[2]

Unklare diagnostische Ergebnisse

Verhaltensbeobachtungen können in unterschiedlichen Untersuchungssituationen sehr unterschiedlich oder widersprüchlich ausfallen. Nicht selten unterscheiden sich zum Beispiel die Rückmeldungen zweier Lehrkräfte über das Verhalten des Kindes in der Unterrichtssituation diametral voneinander. Auch kann die ADHS-Symptomatik in ihrer Qualität und Ausprägung Schwankungen unterliegen, die für die Eltern nicht richtig interpretierbar sind.

Zudem besteht die Gefahr, dass die ambulant durchgeführte Differenzialdiagnostik hinsichtlich diverser anderer in Betracht kommender Störungen oder Komorbiditäten keine zureichende Sicherheit erreicht. Bei komplexen Störungsbildern lassen sich Differenzierungen im stationären Umfeld ggf. besser vornehmen, als im ambulanten Setting.

Dekompensation/Lebenskrisen

Ist die Symptomatik stark ausgeprägt und/oder droht der Patient zu dekompensieren, so sollte die Diagnostik schnellstmöglich abgeschlossen werden, damit so bald als möglich die richtige Therapie eingeleitet werden kann. Vor allem bei schweren komorbiden Depressionen oder suizidalen Tendenzen ist die möglichst rasche Stabilisierung und stationäre Beobachtung des Patienten bereits während der Diagnostik wichtig.

Mangelhafte Compliance

Ambulante Untersuchungen machen seitens des Patienten und seinen Angehörigen ein Mindestmaß an Kooperation erforderlich, die nicht immer gegeben ist. So können beispielsweise schwere Depressionen zu einer unregelmäßigen Teilnahme oder einem Abbruch des diagnostischen Verfahrens führen. Auch wenn die Unterstützung des sozialen Umfelds fehlt, ein solches nicht vorhanden ist oder der Patient an einer Suchterkrankung leidet, kann das stationäre Setting die Compliance verbessern oder den Therapieeinstieg erst ermöglichen.

Kooperationsschwierigkeiten zwischen Jugendamt, Familie und Schule[3], die sich ambulant nicht ausreichend beeinflussen lassen, können im Rahmen einer Helferkonferenz im neutralen wie auch professionellen Umfeld einer Klinik besser bearbeitet werden.

Indikationen stationärer Behandlung

In den meisten Fällen ist eine ambulante Behandlung bei ADHS ausreichend. Geht die Symptomatik jedoch mit Komorbiditäten einher oder kommen zusätzliche Probleme hinzu, kann eine stationäre Therapie indiziert sein.

Mangelnder ambulanter Therapieerfolg

Es kann gelegentlich vorkommen, dass trotz ausreichender Mitwirkung aller Beteiligten und der Ausnutzung der verfügbaren ambulanten Behandlungsmöglichkeiten keine ausreichende Remission erreicht wird. In diesen Fällen macht die Behandlung Methoden erforderlich, die ambulant nicht oder nicht ausreichend verfügbar sind.

Komorbiditäten

Treten gemeinsam mit der ADHS weitere Störungsbilder auf (Depressionen, Bindungsstörungen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen etc.), können diese, auch je nach Ausprägung, eine stationäre Therapie notwendig machen. Die sekundären Störungen werden dann im Rahmen der stationären Therapie auch mitbehandelt. Wenn schwere intrafamiliäre Konflikte oder Erkrankungen eines oder beider Elternteile hinzukommen, ist eine Therapie im ambulanten Setting gegebenenfalls nicht durchführbar.

Ein besonderer Stellenwert kommt vor allem komorbiden Suchterkrankungen zu, die ggf. besser stationär behandelt sind. Allerdings bieten nicht alle Kliniken die Behandlung komorbider Suchterkrankungen an bzw. behandeln Suchterkrankungen als Ausschlusskriterium.

Schwere Ausprägung

Kommt es aufgrund der schwer ausgeprägten ADHS zu einer krisenhaften Zuspitzung, so ist die ambulante Behandlung häufig nicht ausreichend oder ausreichend schnell. Steht beispielsweise ein Arbeitsplatzverlust, ein Schulverweis oder eine Haftstrafe unmittelbar bevor, so kann eine stationäre Therapie nicht zuletzt aufgrund der räumlichen Distanzierung auch psychosozial entspannend auf die Heimsituation wirken oder existenzbedrohende Konsequenzen verhindern.

Eine schwere Ausprägung geht häufig auch zulasten der Patientenmitarbeit. Ist die Compliance des Patienten mangelhaft oder fehlt die Mitarbeit der Eltern, beispielsweise aufgrund mangelnder Motivation, Ängsten oder psychischer Störungen, so kann eine stationäre Therapie hilfreich sein.

Mangelnde psychosoziale Ressourcen

Vor allem ADHS-betroffene Kinder und Jugendliche machen ein beträchtliches Maß an Ressourcen im sozialen Umfeld erforderlich. Vor allem bei mehrfach belasteten Familiensituationen (alleinerziehende, kranke oder beruflich sehr eingespannte Elternteile, Familien mit vielen Kindern) oder krisenhaften Zuspitzungen besteht die Gefahr einer Dekompensation sowohl des Indexpatienten, als auch der Familie. Durch den stationären Aufenthalt hat die Familie die Möglichkeit, neue Umgangsmethoden zu erlernen und eingefahrene, maladaptive Lösungsmuster abzulegen.[4]

Klinikschule

Ansicht einer Klinikschule einer Kinder- und Jugendklinik in Mecklenburg-Vorpommern

Einige Kliniken bieten für Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, während des Klinikaufenthaltes eine interne oder angeschlossene Klinikschule zu besuchen.

In der Regel stellt die Klinikschule einen wesentlichen Bestandteil des diagnostischen und therapeutischen Gesamtkonzepts dar, da im Rahmen des Schulunterrichts auch diagnostisch relevante Verhaltensbeobachungen sowie therapierelevante Verhaltenskonditionierungen möglich sind.

Die Lehrpläne werden meist entsprechend der Lehrpläne der Heimatschule sowie nach den Bedürfnissen des einzelnen Kindes gestaltet, wobei hier auch angesichts der bisweilen heterogenen Klassenzusammenstellungen mit Einschränkungen gerechnet werden kann, wenn es sich nicht um eine staatlich anerkannte Ersatzschule[5] handelt, oder sich die Klinikschule außerhalb des Bundeslandes der Heimatschule befindet.

Therapeutisches Teilziel der Beschulung in der Klinikschule sollte neben dem möglichst nahtlosen stofflichen Anschluss in der Heimatschule und der erfolgreichen Wiedereingliederung in das schulische und soziale Umfeld in der Heimat auch die Therapie eventueller Teilleistungsstörungen sein. Insofern sollte bei der Klinikwahl auch immer ein Augenmerk auf den Angeboten der Klinikschule liegen.

Nachteile der stationären Therapie

Eine stationäre Therapie ist mit Nachteilen verbunden. Da der räumliche Überwechsel des Kindes eine deutlich wahrnehmbare Umstellung des familiären Alltags bedeutet und die pädagogische Verantwortung in die Hände professioneller Fachkräfte übergeben wird, ist es möglich, dass die Eltern sich nun als gescheiterte Erzieher ihres Kindes erleben. Wenngleich die räumliche Distanziertheit Vorteile mit sich bringen kann, ist es für den Patienten von Nachteil, dass er den Kontakt zu Freunden und Mitschülern in seiner heimischen Umgebung verliert.

Zudem kann der stationäre Aufenthalt des Kindes zwar eine akute Entlastung einer intrafamiliären Krisensituation darstellen, allerdings bieten sich somit möglicherweise weniger Chancen, selbst eine Lösung der Probleme zu erarbeiten.

Im Weiteren wird häufig der tatsächliche Gewinn einer stationären Therapie für den Patienten hinterfragt, da das stationäre Setting eine gänzlich andere Situation darstellt, als die heimische. Somit kann hinterfragt werden, ob der Patient die neuen erlernten Muster ohne weiteres auf die Situation zu Hause übertragen kann. Außerdem besteht, auch je nach Compliance und Bereitschaft zur Veränderung des Umfelds, die Möglichkeit, dass sich nach Rückkehr aus der Klinik wieder die alten Verhaltensmuster einstellen. Deshalb ist in beinahe allen Fällen im Anschluss an die stationäre Therapie eine ambulante Weiterbehandlung notwendig, die optimaler Weise nahtlos erfolgt. Hier können unter Umständen langfristige Hilfen in Kooperation mit der Jugendhilfe, z.B. Hilfen zur Erziehung oder Eingliederungshilfe gemäß § 27[6] bzw. § 35 a SGB VIII[7] hilfreich sein.

Da Klinikaufenthalten bisweilen ein negatives Image anhaftet, besteht zudem möglicherweise die Gefahr nachhaltiger Stigmatisierungen des Umfelds bzw. Selbststigmatisierungen und -Pathologisierungen, weshalb Gewinn, tatsächliche Notwendigkeit und Nachteile sorgfältig gegeneinander abgewägt werden sollten. Letztlich obliegt die Entscheidung über eine stationäre Aufnahme im Regelfall dem Patienten bzw. den Eltern des zu behandelnden Kindes.

Klinikwahl

Gemäß SGB IX § 9[8] wird Patienten ein Wunsch- und Wahlrecht hinsichtlich der Klinik eingeräumt.

Aufnahmemodalitäten und Kostenübernahme

In der Regel erstellt der ambulant behandelnde Arzt zunächst ein ärztliches Attest zur Vorlage bei der Krankenversicherung. In diesem müssen die Diagnose sowie der Hinweis, dass ambulante Maßnahmen nicht ausreichend bzw. erschöpft sind, aufgeführt sein. Das Attest wird dann der zuständigen Krankenversicherung zugeleitet. Der Patient erhält dann ggf. schriftlich die Kostenübernahmeerklärung von der Krankenversicherung, die an die Klinik übersendet wird.

Erfolgt der Klinikaufenthalt zu Lasten der Krankenasse, erbringen Versicherte ab Vollendung des 18. Lebensjahres eine Zuzahlung von 10 Euro pro Tag, wobei die Zuzahlung auf maximal 28 Tage pro Jahr begrenzt ist.

Studien und wissenschaftliche Publikationen

Miesch, Matthias; Deister, Arno (2018): Die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in der Erwachsenenpsychiatrie. Erfassung der ADHS-12-Monatsprävalenz, der Risikofaktoren und Komorbidität bei ADHS. In: Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie. DOI: 10.1055/s-0043-119987.

Dokumente

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Becker, H.; Senf, W. (1988): Praxis der stationären Psychotherapie. Thieme, Stuttgart
  • Döpfner, M.; Frölich, J.; Lehmkuhl, G. (2000): Hyperkinetische Störungen. Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie. Hogrefe-Verlag, Göttingen
  • Rotthaus, W. (1998): Stationäre systemische Kinder- und Jugendpsychiatrie. 2. Aufl., verlag modernes lernen Borgmann, Dortmund

Weitere interessante Artikel

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Einzelnachweise

  1. Döpfner, M.; Lehmkuhl, G. (2000): Hyperkinetische Störungen (F90). In: Dt.Ges.f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u.a. (Hrsg.): Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Deutscher Ärzte Verlag, Köln 2000, 225-236
  2. Nachfolgende Absätze vgl. http://www.klinik-viersen.lvr.de/kinderjugendliche/infos_fachleute/online_artikel_fachleute/adhs-stationaer.htm
  3. Imber-Black, E. (1997): Familien und größere Systeme im Gestrüpp der Institutionen. Ein Leitfaden für Therapeuten. 4. Aufl., Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg
  4. Rotthaus, W. (1998): Stationäre systemische Kinder- und Jugendpsychiatrie. 2. Aufl., Verlag modernes lernen Borgmann, Dortmund
  5. http://www.saaleschule.de/was-ist-eigentlich-der-unterschied-zwischen-einer-genehmigten-und-anerkannten-ersatzschule/
  6. http://dejure.org/gesetze/SGB_VIII/27.html
  7. http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_8/__35a.html
  8. http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__9.html
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