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Joseph Biederman

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Joseph Biederman im Jahr 2011

Joseph Biederman (* in Prag, Tschechische Republik) ist ein US-amerikanischer Psychiater und Universitätsprofessor an der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts. Als Vorsitzender des Klinischen Forschungsprogramms für Pharmakologie der ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen am Massachusetts General Hospital, Redaktionsleiter zahlreicher Journals sowie als Autor von mehr als 600 wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema ADHS, welche einen hohen Impact Factor haben[1] und von hoher internationaler Relevanz sind, ist Biederman weltweit als besonders einflussreicher und meinungsführender ADHS-Experte angesehen.[2] Er gilt als der weltweit am häufigsten zitierte Autor im Bereich ADHS.[3]

In den US-amerikanischen Massenmedien wurde Biederman wiederholt kritisiert. Er stand aufgrund von als unethisch und unwissenschaftlich bezeichneten Aktivitäten, potentiellen Interessenskonflikten sowie zuweilen provokanten öffentlichen Äußerungen in der Kritik.[4][5][6] Einige Kritiker, darunter Marcia Angell, sehen ihn mitverantwortlich für die postulierte Überdiagnostik psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen[7] und betrachten ihn eher als „Interessensvertreter der Pharmaindustrie“.[8]

Leben und Wirken

Biederman wurde in Prag geboren. 1971 schloss er sein Medizinstudium im argentinischen Buenos Aires mit Auszeichnung ab.[9] Es folgten zahlreiche Beschäftigungen in überwiegend israelischen Kliniken in den 70er Jahren sowie die Weiterbildung zum Facharzt für (Kinder und Jugend-) Psychiatrie in den 80er Jahren, in den 90er Jahren habilitierte er zum Universitätsprofessor an der Harvard Medical School in Boston, Massachussets. Als wichtigstes Forschungsgebiet Biedermans gilt die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sowie bipolare Störungen bei Kindern und Jugendlichen.

Biederman gilt als unverhältnismäßig einflussreich und richtungsweisend unter anderem in Bezug auf die weltweite ADHS-Forschung sowie vor allem hinsichtlich der Definition psychiatrischer Diagnosen sowie der geltenden medikamentösen Therapieempfehlungen und -Standards. Vor allem für den Bereich ADHS gilt er international als Meinungsführer. Zeit seines Lebens verfasste er etwa 600 wissenschaftliche Artikel und 650 wissenschaftliche Abstracts, in welchen er (mit Stand von 2007) insgesamt mehr als 7000 mal in 235 wissenschaftlichen Publikationen zitiert wurde.[10] Im Bereich der Psychiatrie gilt er als der produktivste Autor; innerhalb des wissenschaftlichen Themengebiets ADHS wurde er weltweit am häufigsten zitiert.

Auszeichungen

Umstritttene,[11] US-amerikanische Wartezimmer-Broschüre von Shire plc zum Präparat Intuniv aus dem Jahr 2010: Diese zeigt „Vorher-Nachher“-Abbildungen eines mit Intuniv medikamentierten Jungens in einer Monster-Verkleidung mit Untertitelungen wie beispielsweise (übersetzt aus dem Englischen): „Seine ADHS-Symptome können stören, doch [unter der Verkleidung] verbirgt sich ein tolles Kind“ oder „lassen Sie Veränderungen an Ihrem Kind für die ganze Familie sichtbar werden.“ Die Angaben der Anzeigen-Serie, welche sich auf angebliche Forschungsergebnisse von Biederman stützen sollen, wurden unter anderem von der Food and Drug Administration scharf als irreführend kritisiert, da sie fälschlicherweise suggerierten, dass Medikamente individuelle Verhaltensprobleme verbessern können, was von den Untersuchungsergebnissen nicht abzuleiten ist.[12][13]

Biederman ist Träger zahlreicher Auszeichnungen, darunter:[14]

  • Mitglied der Hall of Fame des US-amerikanischen ADHS-Verbands CHADD
  • Träger des NAMI Exemplary Psychiatrist Awards 1998
  • Träger des NARSAD Senior Investigator Awards 2002
  • Outstanding Psychiatrist Award for Research 2007
  • Excellence in Research Award 2007 (New England Council of Child and Adolescent Psychiatry)
  • Mentorship Award (Department of Psychiatry at the Massachusetts General Hospital)
  • William A. Schonfeld Award for outstanding achievement, excellence and dedication

Kritik und Interessenskonflikte

Biederman stand und steht aufgrund seiner intensiven Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie sowie aufgrund seiner bisweilen provokanten öffentlichen Äußerungen in der Kritik. Wichtige wissenschaftliche Arbeiten von Biederman, wie beispielsweise über den Einsatz des Psychopharmakons Risperdal bei Kindern und Jugendlichen, wurden von Pharmakonzernen mit Honoraren an ihn in Millionenhöhe finanziert, was er bis zur Aufdeckung dieser verschwiegen hatte. Auch wird Biederman aufgrund seiner Reputation ein großer Einfluss bei der gezielten Ausweitung und Popularisierung von psychiatrischen Diagnosen und deren Medikamentierung bei insbesondere Kindern und Jugendlichen (Medikalisierung) zugeschrieben.[15][16] Laut der Vorwürfe soll er dabei vor allem im Interesse der Pharmaindustrie handeln,[17][18] wobei er betont, dass diese keinen Einfluss auf seine Arbeit habe.[19] Biederman erhielt Zuwendungen von mehr als 15 Pharmaunternehmen.

Viele Werbeanzeigen der pharmazeutischen Industrie, darunter insbesondere des Unternehmens Shire plc, nutzen Ergebnisse eigens finanzierter Forschungsarbeiten, welche von Biederman durchgeführt wurden, zur Referenzierung der jeweiligen Werbestatements. Kritisiert wird dabei oftmals ein fehlender oder unzureichender Kontext zwischen den Anzeigeninhalten und den Forschungsergebnissen.

Häufig kritisiert werden auch seine Äußerungen und Empfehlungen hinsichtlich der Medikamentierung von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen und solchen, bei denen die Notwendigkeit einer Medikamentengabe hinterfragt werden kann. So äußerte er im Jahr 2006 gegenüber Reuters Health: „Wenn ein Kind überaus intelligent ist, aber nur mäßige Leistungen in der Schule zeigt, könnte es sein, dass dieses Kind Medikamente braucht, um dann überaus gute schulische Leistungen erbringen zu können,[20][21] was seitens Fachkollegen sowie Medien ein kritisches Echo zur Folge hatte.

In einer Anhörung vor Gericht im Jahr 2009 äußerte Biederman, dass er sich als „Gott" sehe.[22][23]

Skandal über verschwiegene Zuwendungen von Pharmaunternehmen an der Harvard Medical University

Offenes Entschuldigungsschreiben von Biederman und Kollegen vom 1. Juli 2011.[24]

Auf Empfehlungen des US-Senators Charles Grassley wurden im Jahr 2006 Ermittlungen eingeleitet, welche die erhaltenen Einnahmen von Biederman und zweier weiterer Kollegen untersuchen sollten. Grund war der Verdacht, dass Biedermann mögliches erhaltenes Pharmasponsoring verschwiegen haben könnte. Der Verdacht bestätigte sich im selben Jahr, als sich herausstellte, dass Biederman insgesamt 1,6 Millionen US-Dollar gegenüber seinen Arbeitgebern, der Harvard University und dem Massachusetts General Hospital, verschwiegen hatte, obwohl er zu einer Offenlegung verpflichtet gewesen wäre. Angegeben hatte er lediglich 200.000 US-Dollar.[25][26][27][28] Allein 700.000 US-Dollar stammten vom Pharmakonzern Johnson & Johnson. In der Konsequenz wurde Biederman verpflichtet, im Jahr 2010 auf weiteres Pharmasponsoring zu verzichten. Für die Jahre 2010 und 2011 unterlag er zudem besonderen Auflagen hinsichtlich externer Arbeitsaufträge, für die er vor Annahme bei der Harvard University um Erlaubnis bitten musste. Ferner wurde er zum Verfassen eines offenen Enschuldigungsbriefes verpflichtet, in dem er unter anderem angab, er hätte sich „intensiver mit den Regelwerken auseinandersetzen müssen" und er habe „nach bestem Gewissen gehandelt". Ferner glaube er, das Verschweigen der erhaltenen Zuwendungen sei ein „ehrlicher Fehler" („honest mistakes") gewesen.[29]

Die Harvard Medical School reagierte auf diese Vorfälle mit Verschärfungen und Erweiterungen der Regelwerke, sowie mit einer Reduzierung der gestatteten externen Einkünfte seiner Mitarbeiter zur Vorbeugung von Interessenskonflikten.[30] Ob die Vorfälle ebenso einen Einfluss auf die von der APA im Jahr 2012 neu verhängten Restriktionen externer Einkommen hatten, die gegebenenfalls während der Erstellung des DSM-V bezogen werden sollten, ist nicht klar.

Vorwürfe über unwissenschaftliches Vorgehen

Kritiker wie Marcia Angell, Psychiaterin und Chefredakteurin des New England Journal of Medicine, werfen Biederman ein mitunter unwissenschaftliches Vorgehen vor, das eher dem Interesse der Pharmaindustrie, als der medizinischen Wissenschaft gelte. Insbesondere seine Studien über die bipolare Störung im Kindes- und Jugendalter seien von eher geringer Qualität, teilweise sei ihre Validität zweifelhaft.[31][32] Nach Auffassung von Angell empfehle Biederman bestimmte Medikamente „nach Gutdünken", ungeachtet ihrer Indikation:

„Dass nun bereits Kleinkinder im Alter von gerademal zwei Jahren mit bipolaren Störungen diagnostiziert und mit einem Cocktail an Psychopharmaka medikamentiert werden, von denen viele von der FDA nicht einmal eine Zulassung für diesen Zweck und für Kinder unter zehn Jahren haben, ist zu einem großen Teil ihm [Dr. Biederman] zu verdanken."

— Dr. Marcia Angell

Als unseriös und gegen jegliche wissenschaftsethischen Grundsätze und -Kodizes wurde auch Biedermans Versprechen gegenüber der Pharmafirma Johnson & Johnson kritisiert, das Psychopharmakon Risperidone werde sich nach seinen Forschungen im Jahr 2008[33] als wirksam bei Vorschulkindern erweisen.[34][35]

Film & Fernsehen

Deutsch

Englisch

Siehe auch

Weblinks

Publikationen (Auswahl)

  • Biederman J, Sprich S, Krifche B, Norman D, Faraone S. Comorbidity between ADHD and learning disability: A review and report in a clinically referred sample. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 1992; 31:439-448.
  • Biederman J, Faraone SV, Milberger S, Doyle A. Diagnoses of attention deficit hyperactivity disorder from parent reports predict diagnoses based on teacher reports. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 1993;32:315-317.
  • Biederman J, Baldessarini R, Goldblatt A, Lapey K, Doyle A, Hesslein P. A naturalistic study of 24-hour electrocardiographic recordings and echocardiographic finding in children and adolescents treated with desipramine. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 1993; 32:805-813.
  • Biederman J, Lapey KA, Milberger S, Faraone SV, Reed ED, Seidman LJ. Motor preference, major depression and psychosocial dysfunction among children with ADHD. J Psychiatr Res 1994; 28:171-184.
  • Biederman J, Milberger S, Faraone SV, Seidman LJ, Lapey KA, Reed ED. No confirmation of Geschwind's hypothesis of associations between reading disability, immune disorders, and motor preference in ADHD. J Abnorm Child Psychol 1995; 23:545-552.
  • Biederman J, Wilens T, Guite J, Harding M. ADHD and thyroid abnormalities: A research note. J Child Psychol Psychiatry 1995; 36:879-885.

Weitere interessante Artikel

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Einzelnachweise

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Impact_Factor
  2. https://www.utwente.nl/mira/publicmedia/influential-scientific-minds.pdf
  3. http://www.esi-topics.com/add/interviews/JosephBiederman.html
  4. http://www.nytimes.com/2009/03/20/us/20psych.html
  5. Marcia Angell (19 July 2009). "Drug Companies & Doctors: A Story of Corruption". New York Review of Books. Retrieved 17 September 2015.
  6. Thomas, Carolyn (9 November 2009), No longer possible to believe much of clinical research published, retrieved 17 September 2015
  7. http://www.nybooks.com/articles/archives/2009/jan/15/drug-companies-doctorsa-story-of-corruption/
  8. https://goo.gl/ieIgyu
  9. http://highline.huffingtonpost.com/miracleindustry/americas-most-admired-lawbreaker/assets/documents/3/biederman-s-cv.pdf?build=01121512
  10. http://ahrp.org/the-real-biederman-scandal/
  11. http://www.fda.gov/downloads/Drugs/GuidanceComplianceRegulatoryInformation/EnforcementActivitiesbyFDA/WarningLettersandNoticeofViolationLetterstoPharmaceuticalCompanies/UCM217756.pdf
  12. http://www.fda.gov/downloads/Drugs/GuidanceComplianceRegulatoryInformation/EnforcementActivitiesbyFDA/WarningLettersandNoticeofViolationLetterstoPharmaceuticalCompanies/UCM217756.pdf
  13. Molina BSG et al: Delinquent behavior and emerging substance abuse in the MTA at 36 months: Prevalence, course, and treatment effects. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2007;46:1028-40
  14. http://www.massgeneral.org/children/doctors/doctor.aspx?id=17789#
  15. http://www.nytimes.com/2008/06/08/us/08conflict.html
  16. http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/psychiatrie-das-buch-des-wahnsinns-1.1118134
  17. http://www.nytimes.com/2009/03/20/us/20psych.html
  18. http://www.nytimes.com/2013/12/15/health/the-selling-of-attention-deficit-disorder.html?pagewanted=all
  19. http://www.nytimes.com/2010/10/03/business/03psych.html?_r=3&hp=&pagewanted=all
  20. http://www.mommadata.org/2013/12/attention-deficit-disorder-earns-prime.html
  21. http://www.nytimes.com/2013/12/15/health/the-selling-of-attention-deficit-disorder.html?pagewanted=all
  22. http://www.nytimes.com/2009/03/20/us/20psych.html
  23. Videoaufzeichnung ab Minute 00:36
  24. http://www.thecrimson.com/flash-graphic/2011/7/2/medical-school-colleagues-letter/
  25. https://www.psychologytoday.com/blog/your-child-does-not-have-bipolar-disorder/201107/child-bipolar-disorder-imperiled-conflict
  26. http://www.huffingtonpost.com/marilyn-wedge-phd/sunshine-act_b_1224731.html
  27. http://www.nytimes.com/2009/03/28/health/policy/28subpoena.html?rref=collection%2Ftimestopic%2FBiederman%2C%20Joseph&action=click&contentCollection=timestopics&region=stream&module=stream_unit&version=latest&contentPlacement=1&pgtype=collection
  28. http://www.thecrimson.com/article/2011/7/2/school-medical-harvard-investigation/
  29. http://www.thecrimson.com/flash-graphic/2011/7/2/medical-school-colleagues-letter/
  30. http://www.thecrimson.com/article/2010/7/21/policy-medical-schools-harvard/
  31. http://ethicalnag.org/2009/11/09/nejm-editor/
  32. http://www.nybooks.com/articles/archives/2009/jan/15/drug-companies-doctorsa-story-of-corruption/
  33. Risperidone treatment for ADHD in children and adolescents with bipolar disorder
  34. https://www.cchrint.org/issues/the-corrupt-alliance-of-the-psychiatric-pharmaceutical-industry/
  35. http://ahrp.org/harvard-psychiatrists-disciplined-for-conflicts-of-interest/