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Hochsensibilität

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Hochsensibilität (auch: Hypersensibilität, Hochsensitivität, Übersensibilität oder umgangssprachlich Überempfindlichkeit, abgekürzt: HS) bezeichnet ein Phänomen, bei dem die Betroffenen (HSP; engl. highly sensitive person; hochsensible Persönlichkeit) aufgrund ihrer empfindlichen Wahrnehmungsveranlagung Reize stärker als andere Menschen wahrnehmen und verarbeiten. Dazu kann beispielsweise Empfindlichkeit gegenüber lauten Geräuschen, Sonnenlicht, Gerüchen oder Kleidung zählen, wobei auch das innere Erleben einer HSP als intensiver beschrieben wird. Als mögliche Ursache kommt eine erblich bedingte, bislang nicht näher beschriebene neuronale Konstitution in Frage.[1] Bislang existiert jedoch noch keine anerkannte und eindeutige neurowissenschaftliche Definition des Phänomens, da die HS-Forschung noch am Anfang steht.[2]

Als Begründerin der wissenschaftlichen Forschung über das Konstrukt und Phänomen Hochsensibilität gilt die US-amerikanische Psychologin Elaine N. Aron.[3] Laut Aron befinden sich 15-25 % aller Menschen im Spektrum der Hochsensibilität.

Häufig werden Überschneidungen der Merkmale von HS- und ADHS-Betroffenen beobachtet. Vereinzelt wird auch vermutet, dass Korrelationen zwischen ADHS und HS bestehen könnten.[4] Dabei handelt es sich jedoch um Spekulationen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen ADHS und Hochsensibilität ist bislang ungeklärt, eine ätiologisch bedeutsame Korrelation scheint eher unwahrscheinlich.[5] Wahrscheinlicher sind vielmehr vereinzelte, deutlich imponierende phänotypische Überschneidungen aufgrund einer Neigung zur verstärkten Reizoffenheit, welche beiden Phänomenen gemeinsam ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich HS und ADHS gegenseitig ausschließen müssen. Nicht ausgeschlossen sind zudem angesichts der phänotypischen Überlappungen ADHS-Fehldiagnosen aufgrund einer HS-Disposition.

Die Bewertung von Hochsensibilität als „psychische Störung“ oder „Krankheit“ wird abgelehnt, allerdings kann die Disposition gegebenenfalls ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung psychischer Störungen bergen.

Erscheinungsbild der Hochsensiblen Persönlichkeit

Situationen mit hohem, intensiven Reizaufkommen sind für hochsensible Menschen oft nur schwer auszuhalten. Für nicht hochsensible Menschen ist ihr großes Bedürfnis nach Ruhe und Übersichtlichkeit meist nicht nachvollziehbar.

Grundsätzlich ist die Bandbreite der möglichen Erscheinungsformen von Hochsensibilität durch eine hohe Heterogenität gekennzeichnet. Laut Definition (u.a. Aron) zeichnet sich Hochsensibilität durch eine allgemein stärkere und detailliertere Wahrnehmung von Sinneseindrücken, intensiveren inneren Vorgängen sowie einer höheren Intensität des Empfindens von Stimmungen von Mitmenschen aus. Das Gesamtbild einer HSP umfasst Charaktereigenschaften, welche durch Introversion, intensives Erleben von sozialen Beziehungen, starke Reaktionen auf Medikamente und andere Substanzen, Anfälligkeit für Stress, (Leistungs-) Druck und Zeitknappheit sowie einer meist ungewöhnlich komplexen und vielschichtigen Persönlichkeitsstruktur gekennzeichnet sind. Autoren wie Aron und Davies kritisieren jedoch die in der Literatur häufig postulierte Konfundierung von HS mit Introversion sowie auch Schüchternheit oder Gehemmtheit und schlagen vor, diese konzeptuell voneinander zu trennen, da diese Attribute eher als negative Folgen ungünstiger Umweltfaktoren zu werten seien, weil negative Einflüsse leichter ihre Wirkung auf die sensible Grunddisposition entfalten können.[6]

Letztlich ist auch das Erscheinungsbild eines hochsensiblen Menschen abhängig von der Persönlichkeitsentwicklung des betroffenen Individuums, welche auf die innerhalb der Entwicklungsphasen verfügbaren Ressourcen zurückgeht. Menschen mit hochsensibler Konstitution weisen so gut wie immer eine bedeutend höhere Vulnerabilität auf und sind bei biographischen Vorbelastungen gefährdeter für eine negative Entwicklung oder eine Entwicklung von Krankheiten. Bedeutsam ist dabei neben der verstärkten Wahrnehmung äußerer Reize (welche Überforderung und Überwältigung implizieren kann) auch die intensivere innere Verarbeitung. So wird beispielsweise scheinbar unbedeutenden Ereignissen oder Äußerungen anderer oftmals eine große Bedeutung beigemessen. Je nach Attributionsmuster nehmen sich Hochsensible dabei auch kleinste soziale Reize, welche von anderen erst gar nicht registriert werden, sehr zu Herzen und suchen nach einem persönlichen Bezug oder nach (ggf. nicht vorhandenen) subtilen negativen Implikationen, die sie auf die eigene Person beziehen. Mit diesem Verhalten stoßen die Betroffenen in der Gesellschaft auf Unverständnis. Von Außenstehenden, welche die Wahrnehmungen und Empfindungen nicht nachvollziehen können, werden Hochsensible mit diesen eher negativen Attributionsmustern oder einem eher geringen Selbstwertgefühl deshalb als konfliktscheu und unzugänglich, je nach Charakterstruktur und Enge der persönlichen Beziehung aber auch als streitsüchtig, konfliktsuchend oder jähzornig wahrgenommen.

Meist unbeliebt bei Hochsensiblen ist auch die Teilnahme an in der Gesellschaft beliebten Aktivitäten, welche in größeren Gruppen oder in Situationen mit einem hohen Aufkommen (unbekannter) Menschen stattfinden. Eine Situation in einem Festzelt etwa, in der bei lauter Musik und unter dem Geruch von Alkohol, verschiedener Speisen und Zigarettenrauch ausgelassen geschunkelt, gesungen und getanzt wird, stellt für die meisten Betroffenen aufgrund der multiplen „Super-Reize“ eine nur schwer auszuhaltende, akute Belastung dar. Betroffene werden vergleichbare Situationen von vornherein vermeiden, oder schnell das Bedürfnis haben, sich der Situation zu entziehen. Sie sind dabei stets einer bedrängenden Erklärungsnot und dem Anwenden von „Notlügen“ ausgesetzt, da eine Vermeidung vergleichbarer Situationen von Außenstehenden meist als geringes soziales Interesse oder Arroganz gewertet wird, was jedoch jeweils nicht Ursache der Vermeidung ist.

Menschen mit hochsensibler Konstitution ziehen auch in sozialer Hinsicht eine übersichtliche Umgebung vor, in der ihnen Einschätzbarkeit und Vorhersehbarkeit ein Sicherheitsgefühl vermitteln. Ihre große Stärke liegt dabei sehr häufig im empathischen Umgang mit anderen.[7]

Deutlicher Schwachpunkt hochsensibler Menschen in der modernen und leistungsorientierten Gesellschaft ist das meist geringe Interesse an Wettbewerb und aggressiver Selbstbehauptung. In vielen relevanten Wettbewerbssituationen, etwa im Rahmen eines beruflichen Assessments, erweist sich auch diese Neigung zur Vermeidung als Nachteil mit gegebenenfalls bedeutenden negativen Folgen für den Betroffenen,[8] welche unmittelbar mit der hochsensiblen Konstitution zusammenhängen.

Eigenschaften nach Aron

Elaine N. Aron

Die Eigenschaften hochsensibler Menschen wurden von Elaine Aron erstmals systematisch beschrieben. Unter diesen befinden sich beispielsweise:

Ausgeprägte subtile (psychosoziale) Wahrnehmung

HSP nehmen sowohl soziale, als auch nicht-soziale Reize stärker wahr und verarbeiten diese intensiver. Sie nehmen dabei auch subtile soziale Reize und Stimmungen (mitunter bewusst) wahr und sind durch diese gegebenenfalls leicht beeinflussbar.

Detailreiche Wahrnehmung

Die detailreiche Wahrnehmung bezieht sich zumeist auf alle Sinnesreize. Musik, Kunst, Stimmen, Dialekte, Gerüche, Geschmäcker und so weiter werden deutlicher und differenzierter wahrgenommen und verarbeitet.

Sehr ausgeprägtes Langzeitgedächtnis

Betroffene können sich an scheinbar wenig relevante Einzelheiten mitunter sehr detailreich erinnern, da Ereignisse oftmals stark mit den verstärkt wirkenden emotionalen Befindlichkeiten verknüpft abgespeichert werden.

Starke Beeinflussbarkeit durch Stimmungen anderer Menschen

Insbesondere hinsichtlich der psychosozialen Beeinflussbarkeit und dem Unvermögen, sich von den Gefühlswahrnehmungen und -Äußerungen anderer zu distanzieren, kann in ungünstigen Fällen eine erhöhte Vulnerabilität, und somit ein Risiko zur Entwicklung psychischer Erkrankungen (etwa Depressionen) bestehen.

Denken in größeren Zusammenhängen

Bei Betroffenen fällt oftmals ein strukturell divergenter Denkstil auf, bei dem Gedanken eng mit Emotionen assoziiert werden. Vielen Betroffenen fällt es schwer, rationale, von Emotionen getrennte Gedanken zu bilden oder nachzuvollziehen.

Meist komplexe und stabile Persönlichkeitsstruktur

Instabilitäten der Persönlichkeit werden nicht als Charakteristika der Hochsensibilität aufgeführt, je nach Biographie und psychosozialen Bedingungen können jedoch auch instabile Persönlichkeitsstörungen (etwa Borderline-PS) als Folge einer psychischen Erkrankung auftreten.

Differenzierung von Hochsensbilität und Überempfindlichkeit

Hochsensibilität und Überempfindlichkeit im profanen Sinne unterliegen aufgrund der phänomenologischen Überschneidungen häufig Verwechslungen. Während sich jedoch Überempfindlichkeit (im Sinne von Reizbarkeit oder Nervosität) als Äußerung einer unverhältnismäßig starken Reaktion auf Reize zeigt, geht Hochsensibilität fast immer mit einer erhöhten Wahrnehmungsbandbreite einher.[9]

Die von Aron beschriebenen Charakteristika sind deutlich positiv und im Rahmen des von ihr konstruierten Paradigmas als Stärken attribuiert. Aufgrund der Tatsache, dass das Konstrukt bislang wenig erforscht und wenig bekannt ist, werden verschiedene Verhaltenskomponenten jedoch auch im klinischen Kontext mit klinisch relevanten Faktoren wie Ängstlichkeit und Depressivität, Neurotizismus oder geringer Intelligenz assoziiert.[10]

Soziale Ängste

Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass die bisherigen Ergebnisse in eine Richtung weisen, die annehmen lassen, dass Wechselwirkungen zwischen Hochsensibilität und sozialen Ängsten bestehen.[11] Die Wissenschaft steht hier jedoch noch am Anfang.

Die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen Hochsensibilität und sozialen Ängsten oder der sozialen Phobie wird nahegelegt durch die erhöhte Vulnerabilität von hochsensiblen Persönlichkeiten gegenüber sozialen (Bedrohungs-)Reizen, wie etwa tatsächliche oder potentielle Kritik, Isolation, Demütigung und Zurückweisung.[12] Soziale Situationen, wie beispielsweise der Kontakt mit Fremden, Wettbewerbs- und Beurteilungssituationen gehen mit einem hohen Maß an Intensität, Komplexität und vor allem Unvorhersehbarkeit und starker Stimulation einher, was bei Hochsensiblen viel schneller als bei Nicht-Hochsensiblen zu Überstimulation führt. Dies führt zu einer zeitweisen Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten sowie der sozialen Leistungsfähigkeit, weshalb es in der nächsten, ähnlichen Situation zu noch stärkerer Übererregung und schlechterer Leistung kommen kann.[13]

Ein weiterer Ursachenfaktor, der Vermeidungsverhalten begünstigt, sind die Verhaltensabweichungen, welche bei hochsensiblen Persönlichkeiten beobachtet werden. Hier zeigen sich in den Auswirkungen Ähnlichkeiten zu psychischen Störungen, darunter auch die sozialen Auffälligkeiten der ADHS.

Die Konsequenz ist häufig eine Vermeidung sozialer Interaktion, da die Betroffenen auf diese Weise aversive Reize wie potentielle Zurückweisung und den unangenehmen Zustand der Übererregung vermeiden bzw. kontrollieren können. Die Betroffenen vermeiden solche Situationen ganz, oder ziehen sich bei drohender oder eingesetzter Übererregung möglichst frühzeitig aus der Situation zurück, sofern möglich.

Das beschriebene Vermeidungsverhalten schließt den Kreislauf der sozialen Ängste. Zwar ist es als kurzfristig stabilisierender Faktor eine effektive Strategie, doch verhindert es die Exposition und Gewöhnung an soziale Reize. Die Betroffenen verlieren somit die Möglichkeit, korrigierende Erfahrungen zu machen und Bewältigungsstrategien zu erlernen, was zu einer weiteren Abnahme der Selbstwirksameitserwartungen führen wird.

Hochsensibilität und ADHS

Differenzierung der Konstrukte ADHS und Hochsensibilität

Die Konstrukte Hochsensibilität und ADHS weisen auf deskriptiver Ebene gewisse Überschneidungen auf. Experten wie Trappman-Korr (Deutschland) oder Webb (USA) gehen davon aus, dass es sich bei einer Vielzahl ADHS-diagnostizierter Menschen tatsächlich um fehldiagnostizierte Menschen mit nicht erkannter hochsensibler Konstitution handelt. Webb geht sogar von einer Verwechslungsrate von 50 % aus.[14] Wichtigstes Kriterium, das bei Hochsensibilität zur Fehldiagnose ADHS führt, ist laut Trappmann-Korr die erhöhte Reizoffenheit, welche beim vornehmlich unaufmerksamen ADHS-Subtypen am deutlichsten imponiert. Hochsensibilität und ADHS müssen einander jedoch nicht ausschließen. Ein gemeinsames Auftreten wird eine klare Differenzierung jedoch sehr schwierig bis unmöglich machen.

Darüber hinaus ist bei Menschen mit hochsensibler Disposition von einer allgemein erhöhten Vulnerabilität und einer erhöhten Stress- und Krankheitsanfälligeit auszugehen.[15] Diverse Studien zeigen auch starke Korrelationen von Hochsensibilität gegenüber Depressionen sowie Angststörungen und Vermeidungsverhalten.[16] Diese können, in Anbetracht des klinischen Gesamtbilds, leicht als ADHS-Komorbiditäten missinterpretiert werden, während etwa Konzentrationsstörungen und impulsives Verhalten (etwa als Folgestörungen oder Maladaptionen) als Symptome einer primären ADHS gewertet werden.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede von ADHS und Hochsensibilität

Obwohl es bislang kaum wissenschaftliche Untersuchungen zum Phänomen der Hochsensibilität und keine wissenschaftliche Vergleichsarbeit zu ADHS versus Hochsensibilität gibt, lassen sich doch aus der Erfahrung der praktischen therapeutischen Arbeit mit beiden Betroffenengruppen Gemeinsamkeiten und Unterschiede beschreiben.

Gemeinsamkeiten

Bei beiden Phänomenen kommt es (möglicherweise neurologisch bedingt) zu einer vermehrten Reizaufnahme mit erhöhter Stressintoleranz, Übererregbarkeit und Neigung zu emotionaler Instabilität. Ebenfalls bei beiden Phänomenen ist eine erhöhte Ablenkbarkeit zu beobachten - bei Hochsensibilität jedoch überwiegend bei äußerlicher Reizüberflutung und diversen gleichzeitigen äußeren Anforderungen.

Unterschiede

Die ADHS-typische Problematik in der Selbststeuerung (Aufmerksamkeitssteuerung, Handlungssteuerung etc.) und Selbstregulation ist nicht typisch für Hochsensibilität. Ebenso gehört zum Phänomen der HSP keine erhöhte Impulsivität im Sinne vorschnellen Handelns. Hochsensible Persönlichkeiten können in reizintensiven Settings durchaus unaufmerksam und ablenkbar sein. Wenn keine äußeren Reize und Ablenkungen vorhanden sind, gibt es in der Regel jedoch keine Aufmerksamkeitsprobleme. ADHS-Betroffene haben im Gegensatz dazu auch und gerade dann, wenn sie mit sich alleine sind, eine ebenso hohe Neigung zu Ablenkbarkeit und Unaufmerksamkeit.

Diagnostik

Kritisch zu sehen ist weiterhin die Tatsache, dass Hochsensibilität - als Phänomen, welches nicht als Pathologie definiert ist - trotz ihres pathogenetischen Potenzials keine differenzierbare psychiatrische Diagnose darstellt. Im Rahmen der ADHS-Differenzialdiagnostik wird daher in den meisten Fällen erst gar keine Abgrenzung von einer möglichen Hochsensibilität in Betracht gezogen werden (können).

Eine ADHS-Diagnostik wird in der Regel erst veranlasst werden, wenn das Individuum durch seine Symptomatik einem erheblichen Leidensdruck sowie entsprechenden Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Eine positive ADHS-Diagnose wird sich – ein sorgfältiges diagnostisches Vorgehen vorausgesetzt – unter Berücksichtigung auch dimensionaler Faktoren realisieren, welche die jeweilige Symptomausprägung und den kausalen Leidensdruck mit einschließen. Hochsensibilität ist jedoch – isoliert betrachtet – nicht mit einem Leidensdruck assoziiert; vielmehr sind – anders als bei der Primärdiagnose ADHS – allein Umweltbedingungen bei der Entwicklung von Folgestörungen oder -Erkrankungen entscheidend. Die variablen Ursachen und die indizierten Therapie- bzw. Bewältigungswege der beiden verwechslungsträchtigen Phänomene Hochsensibilität und ADHS implizieren insofern die große Wichtigkeit, die einer Differenzierung der Phänomene zukommen sollte: Eine ADHS-Fehldiagnose aufgrund einer larvierten Hochsensibilität birgt neben den Folgen und Nebenwirkungen einer Stimulanzien-Fehlbehandlung ein hohes Risiko einer Verschlimmerung des Zustands sowie einer lebenslang wirkenden Stigmatisierung.

Mögliche genetische Zusammenhänge zwischen ADHS und Hochsensibilität

Sowohl mit bestimmten ADHS-Charakteristika (darunter Impulsivität, Extraversion, antisoziales Verhalten),[17][18] als auch hinsichtlich Hochsensibilität werden aufgrund aktueller Forschungsdaten Zusammenhänge mit Polymorphismen an bestimmten Allelen der Gene DRD4 sowie DRD2 diskutiert.[19] Brauchbare Erkenntnisse liegen bislang jedoch nicht vor und mögliche Zusammenhänge sind hochspekulativ.

Stand der Forschung

Diskutierte Ursachen

Fruchtfliegen-Experiment von Osborne et al. (2007): Deutlich wird das zurückhaltendere Verhalten der als Sitter gekennzeichneten Drosophila-Fruchtfliegen-Larven bei der Nahrungsaufnahme. Wie auch bei mehr als 100 weiteren Spezies konnten die Forscher bei der Drosophila Polymorphismen identifizieren, welche auf eine genetische Beteiligung an zurückhaltendem Verhalten schließen lassen.[20]

Elaine Aron vermutet in der Hochsensibilität eine besondere Konstitution jener neuronalen Systeme im Gehirn, welche für die Reizverarbeitung verantwortlich sind, darunter Abweichungen insbesondere der Großhirnrinde und des Thalamus. Arons weiterentwickelte Überlegungen basieren dabei früheren Theorien zur erhöhten Sensitivität, etwa von Alice Miller, Carl Gustav Jung oder Iwan Petrowitsch Pawlow sowie auf den noch rudimentären, aktuellen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen. Bereits Pawlow gewann die Erkenntnis, dass Hochsensibilität auch im Tierreich zu finden ist und daher wahrscheinlich auf neuronale Vorgänge zurückzuführen ist.

So seien bei HSP jene Neuronenverbünde und Hirnareale, welche für die Inhibition der Erregungspotentiale zuständig sind, durch eine (bislang nicht tiefer erforschte) genetische Determination weniger stark entwickelt, was eine höhere Erregung der Großhirnrinde zur Folge habe, als dies bei anderen Individuen der Fall sei.[21] Darüber hinaus komme bei HSP eine abweichende Funktion des Thalamus in Frage, was mit einer weniger ausgeprägten Reizfilterungsfähigkeit einhergehe,[22] sodass das Gehirn der betroffenen Person mehr Reize verarbeiten muss, als das einer nicht hochsensiblen Person. Darüber hinaus bestehen auch auf organischer Seite Hinweise, welche als erhöhte thalamische Aktivität interpretiert werden können, etwa die von Aron beschriebenen erhöhten Cortisolspiegel und die stärker ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber Schlafmangel, Koffein sowie Hunger- und Durstgefühlen, welche hirnorganisch mit dem Hypothalamus in Verbindung stehen.

Grundlage für oben genannte Hypothesen, welche neurowissenschaftliche Faktoren mit einbeziehen, bilden vor allem fMRT-Untersuchungen aus den Jahren 2011 und 2013 sowie 2014.[23] Die fMRT-Untersuchungen wurden durchgeführt, um Korrelationen zwischen Stimuli und reaktiver neuronaler Aktivität in bestimmten Hirnregionen zu beweisen.[24] Dabei wurde bei HSP eine höhere Aktivität in Hirnregionen festgestellt, welche unter anderem für Aufmerksamkeit, Empathie, höhere kognitive Prozesse sowie Selbstwahrnehmung verantwortlich sind. Eine erhöhte Aktivität bei HSP wurde dabei sowohl für positive und negative soziale, als auch für positive und negative nicht-soziale Reize festgestellt.

Evolutionäre Aspekte

Gemeiner Sonnenbarsch (Lepomis gibbosus): Bei diesem wurden im Rahmen von Forschungen sowohl auf neuronaler, als auch auf Verhaltensebene Besonderheiten festgestellt, welche für die Hochsensibilität ebenso auf eine genetisch bedingte Konstitution schließen lassen.

In ihrem Werk differenziert Aron zwei Verhaltensvariationen (rover und sitter, als responsive und unresponsive Typen), welche sie als evolutionsbiologisch relevant für die HSP betrachtet. Der Unterschied zwischen Rovern und Sittern besteht laut Aron auf Verhaltensebene in einer Neigung zum (risikofreudigen) Agieren bei Rovern und einem vorsichtigen Abwarten bei Sittern, welche unabhängig von Sozialisation und kulturellem Hintergrund auf eine bestimmte genetische Konstitution zurückzuführen seien. Gestützt wird diese Annahme auch durch diverse neurobiologische Befunde, welche für mittlerweile mehr als 100 Spezies (darunter Primaten[25], Ratten, [26] Ziegen[27] und Fischen[28]) vorliegen.

Ein bekanntes Experiment ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung mit Fischen von Wilson aus dem Jahr 1993. Bei dieser zeigten sich zwischen den Populationen dahingehend deutliche Unterschiede hinsichtlich der Responsivität, als dass ein Populationsteil ohne zu zögern zu einer Fressfalle schwamm, während ein erheblich kleinerer Teil bedeutend zögerlicheres Verhalten zeigte und zunächst beobachtete. Auf Verhaltensebene zeigte sich die abwartende Variation zudem weniger angriffslustig und schreckhafter.[29] Von diesen Beobachtungen leiten die Autoren die Theorie ab, dass die beiden unterschiedlichen Verhaltensweisen die beiden biologisch erfolgreichsten Überlebensstrategien beinhalten. Während das Verhalten der Mehrheit ertragreicher ist, setzt sich die observierende Minderheit aus lange Sicht einer bedeutend geringeren Gefahr aus.

Siehe auch: Hunter-/Farmer-Theorie.

Operationalisierung der Hochsensibilität

Gemeinsam mit ihrem Ehemann Arthur Aron konzipierte Elaine Aron 1997 die Highly Sensitive Person Scale (HSPS). Mit dieser sollte eine Messbarmachung des Konstrukts Hochsensibilität möglich gemacht werden. Die Skala beinhaltete zunächst 27 Fragen, darunter „fühlen Sie sich unter starkem Einfluss äußerer Reize schnell überfordert?“, oder „sind Sie ungewöhnlich empfindlich gegenüber körperlichen Schmerzen?“.[30] Eine Untersuchung von Smolewska et al. im Jahr 2006 kam zum Ergebnis, dass die vom Ehepaar Aron entwickelte HSPS ein valides und zuverlässiges Instrument zur Bestimmung der Hochsensibilität darstellt.[31] Darüber hinaus stellten die Forscher fest, dass sich die Skala in drei Komponenten unterteilen lässt, welche unterschiedliche Varianten erfassbar macht: Ästhetische Wahrnehmung (Aesthetic Sensitivity, AES), Geringe Reiztoleranz (Low Sensory Threshold; LST) sowie Erleichterte Erregung (Ease of Excitation, EOE). Der Theorie zufolge sollen die Varianten jeweils mit bestimmten neuronalen Konstitutionen korrelieren, beispielsweise vermuten die Autoren eine Assoziation zwischen einem hohen AES-Score und dopaminerg organisierten Hirnarealen.[32]

Wissenschaftliche Publikationen

Deutsch

Englisch

Film & Fernsehen

Siehe auch

Weblinks

Weitere interessante Artikel

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Einzelnachweise

  1. http://www.hochsensibel.org/wissenschaftliches-netzwerk/stand-der-forschung.html
  2. http://www.epochtimes.de/431261_das-phaenomen-der-hochsensibilitaet-fluch-und-segen-zugleich.html
  3. Aron, E. N., & Aron, A. (1997). Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. Journal of Personality and Social Psychology, 73, 345-368.
  4. http://www.ads-beratung.ch/elpost42.pdf
  5. http://www.feine-sensoren.de/informationen/fur-eltern/
  6. http://www.hochsensibel.org/wissenschaftliches-netzwerk/stand-der-forschung.html
  7. http://www.hochsensibilitaet.ch/
  8. Aron, Elaine (1996). The Highly Sensitive Person, S. 236.
  9. siehe „Thalamische Affizierbarkeit“ Klages 1991
  10. http://scottbarrykaufman.com/wp-content/uploads/2013/08/Pers-Soc-Psychol-Rev-2012-Aron-1088868311434213.pdf
  11. https://www.angstselbsthilfe.de/wp-content/uploads/2016/01/99.pdf
  12. https://www.psychologytoday.com/files/attachments/36190/japaronjune04sensitiveness.pdf
  13. http://sensibel-beraten.de/images/dokumente/hochsensibilitat_und_soziale_angste_von_e.wunderlich.pdf
  14. Webb et al. 2005. The Misdiagnosis and Dual Diagnoses of Gifted Children and Adults: ADHD, Bipolar, OCD, Asperger's, Depression,and Other Disorders. Scottsdale, AZ: Great Potential Press
  15. Benham G. 2006. The Highly Sensitive Person: Stress and physical symptom reports. Personality and Individual Differences 40, 1433–1440.
  16. Hofman, S. G. & Bitran S. 2007. Sensory-processing sensitivity in social anxiety disorder: Relationship to harm avoidance and diagnostic subtypes. Journal of Anxiety Disorders 21(7), S. 944-954.
  17. Smillie LD, Cooper AJ, Proitsi P, Powell JF, Pickering AD. Variation in DRD2 dopamine gene predicts Extraverted personality. Neurosci Lett. 2010;468(3):234–237.
  18. Ivorra-Martinez J, Gilabert-Juan J, Molto-Ruiz MD, Sanjuan J. The genetics of child temperament. Rev Neurol. 2007;45:418–423
  19. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3135587/#pone.0021636-IvorraMartinez1
  20. https://www.ncbs.res.in/sitefiles/gb2012/Natural%20behavior%20polymorphism%20due%20to%20a%20cGMP-dependent%20protein%20kinase%20of%20Drosophila_0.pdf
  21. http://www.youtube.com/watch?v=W80oIQUdfqw#t=1m31s
  22. Klages 1991, Benham 2006
  23. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/brb3.242/epdf
  24. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/brb3.242/epdf
  25. Higley, J. D. & Suomi, S. J. (1989): Temperamental reactivity in non-human primates. In G. A. Kohnstamm, J. E. Bates & M. K. Rothbart (Eds.), Temperament in childhood (pp. 153-167), Chichester.
  26. Blanchard, R. J., Flannelly, K. J. & Blanchard, D. C. (1986): Defensive behaviours of laboratory and wild Rattus norvegicus. Journal of Comparative Psychology, 100, 101-107.
  27. Lyons, D. M., Price, E. O. & Moberg, G. P. (1988): Individual differences in temperament of domestic dairy goats. Constancy and change. Animal Behaviour, 36, 1323-1333.
  28. Wilson, D. S., Coleman, K., Clark, A. B. & Biederman, L. (1993): Shy-bold continuum in pumpkinseed sunfish (Lepomis gibbosus): An ecological study of a psychological trait. Journal of Comparative Psychology, 107, 250-260.
  29. Wilson, D. S., Coleman, K., Clark, A. B. & Biederman, L. (1993): Shy-bold continuum in pumpkinseed sunfish (Lepomis gibbosus): An ecological study of a psychological trait. Journal of Comparative Psychology, 107, 250-260.
  30. http://www.hsperson.com/pdf/JPSP_Aron_and_Aron_97_Sensitivity_vs_I_and_N.pdf
  31. http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0191886905003909
  32. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3135587/